Zwischenwelten (German Edition)
meiste bereits verkauft, denn es liegt nur noch wenig da. Und da ist auch der Stand mit Seife in allen möglichen Größen und Farben. Sie stößt Tio an. »Die haben wir dringend nötig.«
Sie suchen sich ein orangefarbenes Stück aus, das nach Mandarinen riecht. Nachdem sie bezahlt haben, gehen sie zu Thorpas Stand.
»Ich kann ihn nicht mal begrüßen«, flüstert Ayse.
»Nein – auf keinen Fall so, wie man jemanden begrüßt, den man kennt«, brummt Tio.
Sie können natürlich einfach freundlich nicken, und das machen sie dann auch beide. Die Begrüßung wird – einigermaßen verwundert – herzlich erwidert.
»Sein Ziegenkäse ist richtig gut«, sagt Ayse.
»Wir können doch ein Stück kaufen«, schlägt Tio vor.
Ayse macht ein nachdenkliches Gesicht. »Ich glaube, wir haben nicht mehr so viel Geld. Wir sollten im unbewohnten Sandbach mal wieder irgendwo in eine Kasse greifen.« Sie wirft Tio einen Blick zu. Der reagiert nicht gerade begeistert auf ihren Vorschlag. »Traust du dich nicht mehr?«
Tio gibt sich locker und winkt ab. »Warum sollte ich mich nicht trauen?«
Doch Ayse lässt sich nichts vormachen. »Weil wir dann wieder in die stille Stadt müssen, darum! Blas dich mal nicht so auf, du hast letzte Nacht ganz schön Nerven gezeigt.«
Tio schaut beschämt aufs Straßenpflaster. »Wir brauchen dringend Geld«, sagt er schließlich seufzend. »Jedenfalls wenn wir hier in der alten Herberge übernachten wollen.«
»Wie viel haben wir denn noch?«
Sie leeren ihre Taschen und legen alles zusammen.
»Gerade genug, um davon etwas Warmes zu essen zu kaufen«, sagt Ayse und grinst vergnügt. »Und dann gehen wir schnell und holen uns neues Geld.«
Tio schaut zu den Häusern am Hafen. »Das Gasthaus mit der schönen Terrasse, wo wir den süßen Feldbeerensaft getrunken haben und du den Kuchen gegessen hast, gibt es nicht mehr.«
»Die Herberge hat auch eine Terrasse. Und da gibt es Pfannkuchen.« Ayse strahlt und zieht Tio mit sich. »Komm, so weit zu laufen ist es nicht.«
Ayse hat bereits am Vortag einen Blick auf die alte Herberge geworfen. Zu ihrer Erleichterung war sie offenbar bei dem Beschuss nicht ernsthaft getroffen worden, oder aber der Wirt hatte alles sehr gekonnt repariert.
Als sie in die Straße einbiegen, in der das Gasthaus steht, sehen sie zu ihrer Überraschung einen Wagen vor der Tür, der ganz offensichtlich – das sehen sie an den Schnitzereien – ein Runjiwagen ist.
Ayse bleibt stehen. »Sag mal …« Sie zögert. »Ist der Krieg etwa vorbei?« Sie zeigt auf den Wagen, von dem gerade etwas abgeladen wird. »Wie es aussieht, ist das ein …« Sie kommt nicht auf das Wort.
»Lieferant?«, schlägt Tio vor. Er nickt und nimmt einen salzigen Geruch wahr. »Fisch«, glaubt er zu riechen.
»Die Runji standen auch auf dem Markt«, sagt Ayse. »Heute, aber vorher auch schon. Ich hab Salzländer bei ihnen kaufen sehen, allerdings ziemlich verstohlen. Damals jedenfalls. Jetzt hab ich nicht drauf geachtet.« Im Vorbeigehen klopft sie auf den hölzernen Wagen. »Das hier sieht zumindest nicht danach aus, als müsste da was verstohlen geschehen. Sie machen das jetzt ganz offen.«
Tios Gesicht hellt sich auf. »Aber das ist doch toll! Schluss mit dem blöden Krieg!«
Auf der Terrasse ist kein Mensch, und zögernd setzen sich Tio und Ayse an einen Tisch, auf dem vom Regen noch eine Pfütze geblieben ist. Es dauert lange, bis Ayse ein bekanntes Gesicht sieht. Der Wirt kommt nach draußen, um ein Papier zu unterschreiben, das ihm der Runjilieferant unter die Nase hält. Überrascht schaut der Wirt auf, als er die beiden Gäste auf seiner Terrasse entdeckt.
»Äh … haben Sie eigentlich … geöffnet?«, fragt Ayse unsicher.
»Also, normalerweise um diese Uhrzeit noch nicht.« Der Wirt verabschiedet den Runji und kommt zu ihnen. »Wir haben immer erst ab sechs Uhr geöffnet.«
»Früher …«, fängt Ayse an, verschluckt aber die restlichen Worte schnell wieder. Es wird hier nicht anders sein als bei Sirpa und Sirje: Der Wirt hat Ayse nie an einem unheimlichen Vormittag bei der Flucht geholfen, und deshalb wird er sie auch nicht erkennen. Und er wird vielleicht auch nichts von einem Gasthaus wissen, das einmal mitten am Tag geöffnet hatte, die Terrasse voller Gäste, die sich gemütlich unterhielten und dicke Pfannkuchen verspeisten.
Tio schaut sich um. Alles sieht schäbig aus. Die Stuhlbeine sind braun vom Rost, und die Terrasse liegt voll abgefallenem Herbstlaub.
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