Zwischenwelten (German Edition)
nicht gerne darüber.«
»Also gibt es keinen Streit mehr? Ich meine, Sie schießen nicht mehr aufeinander?« Ayse ist sichtlich erleichtert. »Meinen Sie, dass wir …«, sie zeigt auf sich und Tio, »… dass wir einfach in das Runjidorf gehen können? Ist es sicher?«
»Dorf? Du meinst Terrasse? Das ist eine Stadt. Aber natürlich«, der Wirt lächelt, »schaut euch da ruhig mal um. Seid ihr Touristen?« Er zieht sich einen Stuhl heran und setzt sich auf die Kante der Sitzfläche, ganz so wie jemand, der sich am liebsten gemütlich unterhalten würde, aber eigentlich keine Zeit dafür hat. Die Ellbogen auf die Tischkante gestützt, beugt er sich vor und blickt die beiden Reisenden strahlend und beinahe schon verschwörerisch an. »Es ist unglaublich. Sie haben da eine prächtige Stadt auf dem Wasser gebaut. Ich persönlich finde sie jedenfalls sehr schön, aber das sollte ich hier in Sandbach besser nicht laut sagen. Die meisten Salzländer hassen Terrasse wie die Pest. Wegen der Überschwemmungen. Ich hab natürlich gut reden, ich bin ja auch kein Bauer oder Gärtner. Ich bin Wirt, und schlafen und essen müssen die Leute immer. Mir geht es nicht schlecht, denn Terrasse zieht viele Reisende an, und die müssen irgendwo übernachten. Es haben aber nicht alle die Mittel, das in der teuren Runjistadt zu tun, und dann kommen sie oft hierher.«
»Ja«, sagt Tio schnell. »Wir würden auch gerne hier übernachten, wenn das geht.« Er erzählt mal wieder blühenden Unsinn über die umherziehende Wanderbühne, und dass ihre Eltern an so einem ersten Tag mit dem Aufbauen der Zelte unter Hochdruck stehen und Ayse und er dann doch nur im Weg sind. Er streckt sich und macht sich so groß wie möglich. Er weiß, dass sein Gesicht älter wirkt, als er tatsächlich ist. Er reckt sein Kinn und versucht alles, um ungefähr wie sechzehn auszusehen, ein Alter, in dem man hier in Sandbach hoffentlich schon mal ohne seine Eltern übernachten kann.
Der Wirt findet das zum Glück offenbar gar nicht seltsam und vereinbart einen akzeptablen Preis mit ihnen. »Wenn euch das kleine Zimmer hinten raus genügt. Es ist eigentlich ein Einzelzimmer, aber ich stell noch ein Klappbett dazu. Geht das in Ordnung?«
Ayse legt ihr letztes Geld auf den Tisch, das bei Weitem nicht für eine Übernachtung reicht, doch das haben sie auch gar nicht erwartet. »Wir müssen noch kurz Geld holen gehen bei … also bei unserer Familie.« Von all dem Lügen wird sie ein bisschen rot, aber auch, weil sie sich vorstellt, wie sie gleich das Geld aus der erstbesten Kasse zusammenraffen wird. »Aber Sie halten uns das Zimmer doch frei?«, fragt sie besorgt.
Der Wirt beruhigt sie. »Ich halte mein Wort immer. Wenn ich sage, dass ihr das Zimmer heute Abend haben könnt, dann ist das auch so. Aber bitte vor sechs Uhr zurückkommen, sonst wird es schwierig. Ich hoffe, das könnt ihr verstehen.«
Ayse nimmt einen Bissen von ihrem Eintopf. Er schmeckt nach gebratenem Fleisch mit vielen Zwiebeln und etwas Süßem, vielleicht einer Frucht. »Mm, gut!«, sagt sie.
»Heute Abend gibt es ein Platte mit Getreide und Fisch.« Der Wirt macht Anstalten aufzustehen. »Neun Khansi pro Person.«
»Frischen Fisch?«, fragt Tio. »Der von vorhin? Wir haben gerade den Lieferanten gesehen.«
Der Wirt blickt ihn mit gerunzelter Stirn an. »Was stimmt nicht mit meinem Lieferanten?«
»Nichts«, sagt Tio schnell. »Wir haben ihn nur gesehen, sonst nichts.«
»Ja, ich mache mit Meski-Sorin Geschäfte.« Der Wirt richtet sich auf und verschränkt wie zur Abwehr die Arme vor der Brust. »Er ist der beste Fischhändler, den es gibt, und Geschäft ist Geschäft. Seine Fische sind immer frisch, und das kann man von denen der Salzländer Händler wahrlich nicht behaupten. Die liefern immer nur ranzigen Kram, der schon ein paar Tage auf See in einem rostigen Laderaum gelegen hat.«
Tio sieht bedröppelt aus. Es war nicht seine Absicht, etwas zu sagen, das als Kritik verstanden werden kann.
Ayse kaut auf einem besonders zähen Stück Fleisch, schluckt es dann runter und trinkt noch einen Schluck Wasser. »Sie brauchen sich doch nicht zu verteidigen. Wir sind keine Salzländer, uns geht das nichts an. Aber wenn kein Krieg mehr ist, warum finden es die Menschen hier dann schlimm, wenn Sie Geschäfte mit Meski-Sowieso machen?«
»Das ist eine Frage des Prinzips. Sie finden, dass wir alle nur Salzländerfisch essen sollten. Aber die Runji sind viel bessere Fischer, und das schon seit
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