Zwischenwelten (German Edition)
vielen, vielen Jahren. Wenn die Salzländer sich selbst einen Ruck gegeben hätten – als sie plötzlich Konkurrenz gekriegt haben –, vielleicht hätten sie dann auch mithalten können. Aber nein, sie haben angefangen zu klagen und zu jammern, dass die Runjiboote schneller waren, dass die Runji es mit irgendwelchen faulen Tricks schaffen, überall schneller zu sein. Die Salzländer Fischer hätten mal mit den Runji sprechen können, sie hätten sich erklären lassen können, wie man solche superschnellen Boote baut. Vielleicht hätte man sogar zusammenarbeiten können. Aber nein, diese Bande von Meckerfritzen hatte nichts Besseres zu tun, als Zeter und Mordio zu schreien. Dementsprechend haben die Runji den Markt erobert, und die Fischer hier klagen noch immer zum Steinerweichen.«
In diesem Moment kommt jemand in die Gaststube, ein älterer Mann mit grauem Bart und einer fröhlich blauen Mütze auf dem Kopf. »He, Lasje, du hast geöffnet? Jetzt schon? Komische Zeit.«
Der Wirt, der offenbar Lasje heißt, dreht sich schnell um und grinst dem Mann vergnügt entgegen. »Seht mal«, sagt er zu Ayse und Tio, »da haben wir ein Beispiel für jemanden, der nicht in das Klagelied eingestimmt hat!«
Der Mann mit der Mütze macht ein verwundertes Gesicht. »Worum geht’s? Bist du gerade dabei, über mich zu stänkern?«
»Ja klar!« Der Wirt winkt den Mann näher und bietet ihm einen Stuhl an. »Setz dich, Valpa. Ich erzähle gerade diesen beiden neugierigen Touristen, wie es mit der Fischerei und den Runji ist. Valpa«, Lasje versetzt dem Mann einen freundlichen Stoß, »ist jahrelang Fischer gewesen, bis die Runji sich hier niedergelassen haben.«
»Junge, was hatte ich für eine Wut auf die Leute«, sagt Valpa.
»Aber jetzt nicht mehr.« Lasje lächelt.
»Jetzt nicht mehr«, wiederholt Valpa und lacht. »Jetzt fahre ich auf meinem Boot Touristen rum. Ich fahre sie von hier aus den Fluss hoch bis nach Terrasse. Da könnten sie auch gut zu Fuß hinkommen, das dauert nicht mal eine halbe Stunde, aber eine Bootstour ist für sie ein Ausflug, ein Erlebnis. Und ich stinke nicht mehr nach Fisch.« Er seufzt. »Ach, man muss halt was draus machen. Es hat keinen Sinn, jammernd anderen hinterherzuhinken.«
»Was wollen denn die Touristen in, äh … Terrasse?«
Die beiden Männer ziehen die Augenbrauen hoch. »Also, daran merkt man, dass ihr noch nie in Terrasse wart. Das muss man gesehen haben! Es ist wirklich eine Prachtstadt. Überall Brücken und Wasserläufe und was weiß ich noch alles. Da guckt man sich die Augen aus dem Kopf. Doch ich empfehle den Leuten immer schon im Voraus dringend, sich bloß an alle Vorschriften zu halten. Das ist da sehr wichtig, und es haben schon genug Touristen Probleme bekommen.«
Tio und Ayse sehen den Mann überrascht an. »Was für Vorschriften?«
»Das Wasser! Man darf nicht reinspucken, oder man hat eine Strafe am Hals.«
»Welches Wasser?«, fragt Tio naiv.
»Welches Wasser?«, wiederholt Lasje lachend. »Alles Wasser. Das Wasser ist ihnen heilig.«
»Und lasst es euch nicht in den Sinn kommen, auch nur einen Fuß in einen Wassertempel zu setzen, oder ihr verschwindet für Jahre hinter Schloss und Riegel«, pflichtet Valpa ihm bei.
Ayse räuspert sich. Sie schüttelt verständnislos den Kopf und beschließt, noch eine dumme Frage zu stellen. »Wassertempel? Was ist das?«
»Heiligtümer«, sagt Valpa. »Nur die Maile und ihr Gefolge dürfen diese Gebäude betreten, sonst so gut wie keiner.«
»Die Maile?« Tio rutscht auf seinem Stuhl hin und her. Beinahe verschluckt er sich an einem harten Gemüsestück. Sein Blick wandert zu Ayse. »Die Maile«, flüstert er.
»Das ist der Chef von dem Ganzen da«, erklärt Valpa. »Oder besser gesagt, die Chefin. Tolle Frau …«, er senkt die Stimme zu einem Flüstern, »… auch wenn ein Kahlkopf bei uns nicht unbedingt dem Schönheitsideal entspricht.« Er grinst. »Wenn man sie überhaupt zu sehen kriegt.«
»Na, sie macht doch jeden Tag ihren Rundgang, oder?« Lasje sieht Valpa fragend an. »Das habe ich mir zumindest erzählen lassen. Ich selbst bin nie dabei gewesen.«
Valpa nickt. »Stimmt. Das ist ganz schön für die Touristen. Ich bringe sie immer rechtzeitig hin. Jeden Tag zu genau derselben Zeit, Punkt zwei Uhr, betritt die Maile den großen Tempel. Nach ihrem Rundgang durch Terrasse. Es gibt keinen Runji, der nicht seine Arbeit niederlegt, um sich am Wegrand zu verbeugen.« Er verzieht das Gesicht. »Diese Bande
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