Zwischenwelten (German Edition)
von Klappmessern.« Er trommelt mit den Fingen auf die Tischplatte. »Aber ich darf mich ja nicht beschweren, ich verdiene gutes Geld mit all den Leuten, die es für einen tollen Ausflug halten, auf einem alten Fischerboot nach Terrasse zu fahren und dort rechtzeitig zu dem Spektakel anzukommen. Ich erzähle ein bisschen dabei und krieg als Fremdenführer noch ein Trinkgeld zugesteckt, wenn es gut läuft.«
Lasje lacht. »Ja, Valpa versteht aus allem das Beste zu machen.« Dann seufzt er ärgerlich. »Im Gegensatz zu den meisten Salzländern.«
Eine Weile bleibt es still.
»Die meisten haben es doch auch ziemlich schwer«, sagt Valpa dann besänftigend. »Die Fischer sind durch die Runjikonkurrenz pleitegegangen. Und wenn sie Familie hatten, war das ganz schön schlimm. Ich hab gut reden, ich bin immer allein gewesen. Und wenn es Bauernfamilien sind, dann machen ihnen die Überschwemmungen zu schaffen. Auch nicht gerade angenehm.«
»Die Überschwemmungen«, fängt Ayse an. »Ist das ihre Schuld? Die Schuld der Runji, meine ich? Entstehen die Überschwemmungen durch das, was da alles gebaut worden ist?«
»Ja«, sagen Valpa und Lasje und erklären, wie die Runji den Lauf des Wassers aufgehalten und damit weite Gebiete in einen sumpfigen Morast verwandelt haben.
»Vor allem wenn die Regenzeit kommt«, erzählt Lasje, »im Herbst, den wir jetzt ja schon fast haben, dann steht hier in kurzer Zeit alles unter Wasser.«
»Genügend Gründe für einen neuen Krieg«, murmelt Tio mit gesenktem Kopf in seinen Eintopf.
Lasje hört das und ruft: »Hoffentlich nicht!«
Ayse schaut sich um, ob es hier irgendwo eine Uhr gibt. Sie entdeckt eine hinter der Theke. Die Zeiger stehen auf halb zwei. »Herr Valpa?«
»Valpa, einfach Valpa. Ich lass mich von niemandem Herr nennen«, sagt der Mann in einem Ton, als hätte ihn Ayse beleidigt. Doch um seine Augenwinkel kräuseln sich die Lachfältchen.
»Wenn Sie jeden Tag um zwei Uhr in, hm … Terrasse sein müssen, warum sitzen Sie dann jetzt noch hier?«
»Freier Tag«, ist die einfache Antwort. »Heute will niemand nach Terrasse. Das kommt manchmal vor. Zum Glück nicht zu oft. Liegt an der Wettervorhersage. Die wollen uns weismachen, dass wir kräftigen Wind kriegen. Na …«, er zeigt durch ein Fenster auf den blauen Himmel draußen, »… das seht ihr ja. Aber für morgen hab ich schon zwei Kunden, da bin ich wieder unterwegs.«
»Was kostet das«, will Ayse wissen, »so eine Tour mit Ihrem Boot, ist das teuer?«
»Zwölf Khansi pro Person, aber nur, weil es Herbst ist. Im Sommer sind es fünfzehn.«
Tio sieht Ayse an. »Willst du mit?«
Ayses Augen leuchten. »Ja, würde ich gerne! Du auch?«
Ja, Tio muss zugeben, dass er es auch schön fände. »Geht das?«, fragt er Valpa.
»Jeder, der bezahlt, ist willkommen. Morgen früh um elf Uhr am Kai. Auf Höhe der alten Kneipe, dem Seeblick, da liegt ein alter rostiger Kahn mit dem Namen Valje IV.«
»Müssen wir im Voraus bezahlen?«, fragt Ayse und schaut beklommen auf die paar Münzen, die noch auf dem Tisch liegen.
Aber Valpa schüttelt den grauen Kopf. »Natürlich nicht. Ihr bezahlt, wenn ihr an Bord geht. Dann kriegt ihr eine schöne Karte, und die gilt zugleich für die Rückfahrt. In Terrasse habt ihr ein paar Stunden Zeit, wie viel, das hängt ein bisschen von den anderen Touristen ab. Aber das klären wir dann noch.«
»Prima!«, sagt Tio und nimmt noch einen Bissen von seiner Pampe. Richtig angenehm, mal einen auf Tourist zu machen und mit dem Fischerboot über das Meer und den Fluss hinaufzufahren – das müsste doch eigentlich ein schöner Tag werden.
»Also, dann gehen wir mal wieder rüber.« Tio seufzt und steigt schnell die Treppe am Kai hinab.
Ayse folgt ihm beklommen. Sie haben keine andere Wahl, denn sie brauchen nun einmal dringend Geld. Sie haben in der Gaststube noch etwas herumgetrödelt, sind durch die Straßen gebummelt und an den Marktständen stehen geblieben, bis sie sich eingestehen mussten, dass es keinen Sinn hatte, es noch weiter hinauszuzögern. Wenn sie sich jetzt nicht beeilten, würden sie nachher bei Dunkelheit in die stille Stadt müssen!
Dass das Wetter umgeschlagen ist, macht es nicht angenehmer. Weiße Nebelbänke rollen vom Meer in die Stadt, und der Kai ist davon wie verschleiert.
Ayse hat eine Hand an die glitschige grüne Kaimauer gelegt, als hätte sie Angst, dass der dichte Nebel seine feuchten Finger nach ihr ausstrecken und sie in das kalte Wasser ziehen
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