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Zwischenwelten (German Edition)

Zwischenwelten (German Edition)

Titel: Zwischenwelten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mariëtte Aerts
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Ohren durch und er schaudert.
    In einer menschenleeren Stadt hört man nur das, was einem der Wind zu erzählen hat. Der Wind, der die Dinge rascheln lässt und plätschernde Wellen über das Wasser jagt. Tio hört es und schrickt zurück. Ein spitzer Schrei lässt ihn zusammenfahren. Ach, ja, da sind ja noch die Tiere. Er blickt nach oben und sieht die Silhouette eines dunkelgrauen Vogels. Ein paar Schritte vor sich entdeckt er kleinere schwarze Wesen, die an den Häusern entlanggleiten. Fledermäuse, vermutet er. Nie hätte er gedacht, dass er Fledermäuse einmal als angenehm empfinden würde. Er schneidet sich selbst eine Grimasse.
    Die dunklen Gassen wirken nicht sonderlich einladend. Wo soll er es probieren? Vielleicht ist in dem Laden, wo sie ihre salzländischen Klamotten geholt haben, ordentlich Beute zu machen. Im Supermarkt haben sie beim letzten Mal die Kasse so gut wie leer geräumt. Gasthäuser kann er natürlich auch durchsuchen, ein Fischgeschäft hat er gesehen, eine Bäckerei, einen Spielwarenladen, eine Bude, wo warme Snacks verkauft werden. Genügend Auswahl hat er. Doch das ist nicht entscheidend, entscheidend ist, dass er sich alleine durch die Stille bewegen muss, durch die dunklen schmalen Einkaufsstraßen, in denen sie beim letzten Mal verfolgt worden sind.
    Würde ihm dieselbe Person wieder irgendwo auflauern?
    Vielleicht ist er aus den Schatten einer Gasse heraus oder aus dem Fenster eines Hauses schon längst gesehen worden. Vielleicht hält sich der Verfolger hinter der hohen gläsernen Ladenfront auf, oder er (oder sie?) steht da hinter dem Fensterladen und späht nach draußen. Tio sieht niemanden. Doch das will nichts heißen. Sieht jemand ihn? Das würde er gerne wissen.
    Das plötzliche Aufleuchten der Laternen erschreckt ihn. Die Straßenbeleuchtung ist offenbar auf eine bestimmte Zeit eingestellt, auch hier in der unbewohnten Welt.
    Nahezu ohne ein Geräusch zu machen, setzt Tio seine Füße auf das Pflaster. Er kündigt lieber nicht an, dass er kommt, und wenn jemand hinter ihm herläuft, dann würde er das gerne rechtzeitig hören.
    Er versucht, die Lichtpfützen unter den Straßenlaternen zu meiden, schiebt sich mit dem Rücken entlang der Mauern und hält sich so im noch dunkleren Schatten von Torbögen und Vordächern. Sorgfältig späht er um jede Straßenecke, bevor er eine neue Gasse betritt.
    Er schlüpft in das erstbeste Geschäft, auf das er stößt. Es ist eine Eisenwarenhandlung, und auf dem Ladentisch steht eine altmodische rundliche Kasse. Tio drückt einen Knopf, die Kasse springt auf, und er grapscht alles Geld, das drin ist, mit beiden Händen heraus. Er nimmt sich nicht die Zeit nachzusehen, wie viel es ist, sondern lässt es einfach in seinen Rucksack gleiten.
    Er besucht den Klamottenladen, den Bäcker und ein kleines Süßigkeitengeschäft. Langsam wird sein Rucksack immer schwerer.
    Im fünften Laden, den er betritt, ist es dunkel. Es brennt lediglich ein kleines Licht, das die Auslage im Schaufenster schwach beleuchtet, der Rest des Ladens ist so düster, dass er die Kasse durch Tasten finden muss. Als er sie endlich entdeckt hat und auf den richtigen Knopf drückt, springt das plumpe Ding klirrend und rasselnd auf. Der Lärm zerreißt die Stille, und Tio macht unwillkürlich vor Schreck einen Satz zur Seite und reißt einen Kleiderständer mit dicken Winterjacken um. Mit angehaltenem Atem bleibt er unter den Jacken liegen, bis er den Mut hat, sich wieder aufzurappeln. Dann hält er den Rucksack mit offenem Reißverschluss unter das Kassenfach und schaufelt die klimpernden Münzen hastig hinein. Mit zitternden und vor Nervosität weichen Knien schiebt er sich wieder aus dem Geschäft.
    Draußen bleibt er noch kurz im Eingang stehen und lauscht. Hört er Schritte? Etwas raschelt auf den Gehwegplatten. Vielleicht ein kleines Tier, ein scheues Nachttier, das sich genau wie er vorsichtig durch die Dunkelheit bewegt. Er hört ein feines Piepen. Eine Maus? Ein Vogel? Oder ein Fenster oder eine Tür in der Zugluft?
    Plötzlich reicht ihm alles. Er muss sich erst mal ein Versteck suchen und die Münzen zählen. Vielleicht ist es ja schon genug, was er inzwischen zusammengestohlen hat. Das Gasthaus, in dem er mit Ayse übernachtet hat, scheint ihm ein guter Ort zu ein, an den er sich zurückziehen kann, um in Sicherheit seine Beute zu begutachten. Sollte es nicht genug sein, wird er noch einen weiteren Versuch wagen.
    Schnell geht er zur alten Herberge, er springt

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