Zwölf im Netz
zusammen zwölf, und hielten das für die ideale Zahl. Man mußte nicht abergläubisch sein, um einem Dreizehnten mit gewissem Mißtrauen zu begegnen. Den quirligen Levi und den ungeduldigen Judas in ihre Gemeinschaft einzugliedern, hatte bereits einige Nerven gekostet; jetzt schien die Truppe gut zusammengeschweißt. Um so verblüffter waren sie, als Jesus einen Zwölften berief. Und was für einen! Seit sich der Zelot dem Meister angeschlossen hatte, wurden Zucht und Ordnung größer geschrieben als vorher. Nicht daß er militärischen Drill eingeführt hätte (den hatte der alte Einzelkämpfer immer verabscheut), aber was einzuteilen war, teilte er ein, gerecht und gewissenhaft: die Nachtwachen, das Brotholen, die Essensausgabe, das Kleiderwaschen, den Krankenordnungsdienst. Erst murrten manche über solche »Barrasmethoden«, später waren sie ihm dankbar, daß er alles regelte und nichts mehr sogenannten Freiwilligenmeldungen überließ.
Eines Tages war Jakob zur Essensausgabe eingeteilt. Eine fromme Witwe hatte dem Meister und den Jüngern einen Bottich mit frischem, selbstgestampftem Sauerkraut gestiftet, dazu einen Ring knackiger Mauleselwürste. Die Jünger drängten zum Bottich, jeder seinen Holznapf in der Hand. Auf einmal humpelte ein untersetzter, schnauzbärtiger, pickliger Mann herbei, eine Posaune über den Rücken geschnallt. Er wartete, bis alle ihren Anteil empfangen hatten, und hielt seinen Holznapf hin. Jakob schüttete ihm den Rest des Sauerkrauts hinein, mindestens drei Pfund. Erst als er merkte, daß alle Würste schon ausgegeben waren, fiel ihm auf, daß der Mann gar nicht zu ihnen gehörte. Ordnungsliebend, wie der Sohn der Salome war, fragte er ihn nach seinem Namen.
»Jakob«, war die Antwort.
»Jakob, genauso wie ich. Merkwürdig.«
»Kommt vor«, brummte der Fremde. »Meine Posaune schreibt sich Jakobäa.«
Inzwischen hatten ihn auch die anderen bemerkt und hörten belustigt zu. Neugierig musterten sie den Posaunisten von oben bis unten, was nicht lange dauerte, denn er maß höchstens anderthalb Meter.
»Weiß Jesus über dich Bescheid?« forschte der ältere Zebedäussohn weiter.
»Der Meister sagte: Komm, folge mir!«
»Zu deiner Posaune auch?« fragte Andreas amüsiert.
»Ja, ohne sie hätte er mich gar nicht wahrgenommen.«
»Aha, du hast gerade geübt?«
»Ja, den Makkabäermarsch.«
Der Neue sprach alles mit einem feierlichen Ernst, so daß sich Johannes, Andreas und Philipp das Lachen nur mühsam verbeißen konnten. Simon Petrus rettete die Situation. Er reichte dem zweiten Jakob die Hand und begrüßte ihn herzlich als Zwölften im Bunde. »So einer wie du hat uns bisher noch gefehlt.«
Der Neuling runzelte die Brauen, als er sprach: »Ich war der Meinung, darüber entscheidet der Meister.«
Simon, leicht verlegen, erwiderte: »Selbstverständlich, Jakob. Ich wollte dir nur sagen, daß du uns allen willkommen bist.« Sie reichten ihm die Hand, Judas zuckte bei der Berührung zusammen und wischte sich hinterher sofort ab; schmutzige und verschwitzte Hände haßte er.
Um ihn vom hochaufgeschossenen Sohn des Zebedäus zu unterscheiden, nannten sie ihn den kurzen Jakob. Ihm war das gleichgültig. Ihm schien es überhaupt nichts auszumachen, was andere über ihn dachten. Auch daß einige von den Elf, nachdem sie ihre Neugier an seinem Aussehen und an Jakobäa gestillt hatten, ihn links liegen ließen, bekümmerte ihn nicht. Thaddäus glaubte ihn wiederzuerkennen. Hatte er nicht früher am Nordufer gefischt? Aber vor zwei Jahren hatte er seinen Einmannbetrieb zusperren müssen, weil er irgendwie gegen die Ehre der Fischerzunft verstoßen hatte. Vielleicht verdorbene Fische verkauft oder der Konkurrenz ins Netz gegriffen, wie man das Fischen in verbotenen Gewässern nannte. Hatte er nicht sogar kurze Zeit im Kittchen gesessen?
»Das kann auch wegen öffentlicher Ruhestörung gewesen sein«, sagte Natanael, »Jakob ist wirklich ein Armer im Geiste.«
»Leider macht er nur selten den erwünschten seligen Eindruck«, mischte sich Judas ins Gespräch, »außer wenn er Posaune bläst oder ganz nah bei Jesus sitzen darf.«
»Du magst ihn halt nicht.«
»Mein Mißtrauen ist begründet, Natanael. Primitive Menschen wie er werden leicht eine Beute ihrer Triebe; wonach es sie gerade gelüstet, danach greifen sie, ob es sich um einen Geldbeutel, um ein Weibchen oder um Räucherschinken handelt. Die Vernunft ist bei denen völlig ausgeschaltet.«
»Aber nicht das Herz«, sagte
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