Zwölf im Netz
Leserinnen bitter enttäuschen.«
Der alte Apostel verbarg sein Erstaunen nicht. »Aber, Poly, Jesus sprach von nichts anderem als von der Liebe.«
Der Junge wand sich hin und her, wollte anscheinend nicht so recht mit der Sprache heraus. Johannes mußte ihn noch einmal ermuntern. So sagte er denn: »Jesus sprach von der Liebe Gottes zu uns und umgekehrt, klar. Das meine ich jetzt aber nicht. Ich meine die — wie sagt man?- irdische Liebe, die zwischen Männlein und Weiblein, verstehen Sie!
Hat denn niemand von euch jüngeren Jüngern eine Freundin gehabt?«
»Der Philipp jede Menge, wie du weißt.«
Poly winkte müde ab. »Philipps Vorrat«, sagte er scherzend, »hätte natürlich für alle ausgereicht. Doch im Ernst, ihr wart in dem Alter, in dem es jeden mal erwischt — oder fast jeden.«
»In deinem Alter, meinst du?«
Er überhörte die Frage. »Manche vergessen vor lauter Sport oder Studium, daß es Mädchen gibt. Doch die Mehrzahl kann sich dem Zauber dieser sonderbaren Lebewesen nicht entziehen. Man mag sich, trifft sich, verliebt sich — und manchmal wird gleich ein festes Verhältnis daraus. Eines schwöre ich Ihnen, bei uns in Ephesus hätte es Jesus nicht besonders schwer gehabt, uns Jungen von den Eltern fortzulocken. Aber uns aus den Armen der Mädchen zu reißen, hätte es größter Anstrengungen bedurft. Da hätte er sich mehr einfallen lassen müssen als die schlichten Worte: >Komm und folge mir nach!«
Nun mußte Johannes lachen. »Aus den Armen der Mädchen — Poly, Poly, wenn du wüßtest, wie es den Mädchen in meiner Jugendzeit erging? In den streng jüdischen Gemeinden Galiläas waren die Mädchen unter sicherem Verschluß. Der Bräutigam küßte seine Braut zum ersten Mal am Verlobungsfest, und da nur zart auf die Wange unter den Augen der ganzen Verwandtschaft.«
Poly riß ungläubig die Augen auf. »Und es gab keine heimlichen Mittel und Wege?«
»Solche gab es freilich, doch es gehörte List und Courage dazu, sie zu benutzen. Auch die Auserwählte durfte nicht furchtsam sein. Trotzdem war nicht mehr drin als ein Zublinzeln auf der Straße, ein verstohlener Händedruck, ein hastiges Flüstern auf dem Weg zur Synagoge.«
Das frühreife Großstadtkind war entsetzt über so vorsintflutliche Zustände. »Und das habt ihr ausgehalten, womöglich jahrelang?«
» Was heißt hier jahrelang? Die Mädchen wurden früh verheiratet, mit dreizehn oder vierzehn Jahren, die Burschen mit achtzehn, spätestens zwanzig. Da hatten manche noch gar kein Verlangen danach. Die Weisheit unserer Ahnen wollte es so.«
» Weisheit? Barbarische Sitten, und das mitten im römischen Weltreich.« Poly war ehrlich entrüstet. »Also wenn ich mir vorstelle, daß Daphne schon vier Jahre verheiratet wäre.«
» Wer ist Daphne?«
»Daphne ist jetzt gar nicht wichtig, Johannes. Ein Mädchen aus meiner Bekanntschaft. Und die hätte jetzt womöglich schon zwei, drei Kinder?«
»Alle Jahre eins. Ja, Poly, für Romantik bleibt da wenig Zeit.«
»Die armen Mädchen! Da waren Sie natürlich froh, keins zu sein. Klar, sonst hätten Sie Jesus gar nicht folgen dürfen.«
»Jedenfalls nicht auf diese Weise, wie ich es konnte«, sagte Johannes.
»Wie Sie es konnten, weil Sie unbeweibt waren? Doch die Ehemänner unter euch, gab es bei denen keine Probleme? Simon Petrus war bestimmt nicht der einzige, der eine Schwiegermutter hatte.«
» Nein, auch Levi, Thaddäus, der Zelot und Thomas. Natanael, Philipp und Andreas nicht. Andreas war allerdings schon fest versprochen, von den Eltern natürlich.«
»Wie war's mit Judas, eurem schwarzen Schaf?«
Johannes dachte nach. »Er sprach nie von einer Frau, er hatte nur messianische Politik im Kopf. Aber zurück zu deiner Frage. Gewiß fiel es den jungen Ehemännern schwerer als mir, Jesus zu folgen. Ihre Frauen blieben zwar keineswegs verlassen zurück wie in euren städtischen Zwergfamilien, wenn der Mann die gemeinsame Wohnung verläßt. Sie erhielten Schutz und Hilfe von der gesamten Verwandtschaft, genauso wie die Witwen, deren Männer im Krieg gefallen waren. Das Familien- und Sippenbewußtsein war in Galiläa noch sehr stark ausgeprägt. Eltern, Schwiegereltern, Brüder, Schwäger — nach unseren Traditionen waren alle verpflichtet, sich um die Witwe zu kümmern, auch um eine Witwe auf Zeit. Trotzdem, für die jungen Frauen war es eine harte Prüfung, wenn ihre Männer Jesus folgten, und sicher wurde manche von Eifersucht geplagt oder auch von Neid. Es war ja auch
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