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Zwölf im Netz

Zwölf im Netz

Titel: Zwölf im Netz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adalbert Seipolt
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Natanael.
    »Warten wir ab, wer recht hat. Hoffentlich kompromittiert er uns nicht zu sehr, der unappetitliche Mensch.«
    »Genau zu diesem Zwecke könnten ihn die Feinde bei uns eingeschleust haben«, gab der Zelot zu bedenken. »Eingeschleust, wie das?« Natanael begriff nicht sofort, was der Zelot meinte.
    »Er soll die Polizei auf uns lenken. Wie Judas richtig bemerkte: Ein Primitiver wird leicht die Beute seiner Triebe. Ein kleiner Diebstahl, ein kleiner Raub — schon stehen wir als Räuberbande da. Das würde unseren Feinden prima ins Konzept passen.«
    Judas stimmte zu: »Vielleicht haben sie ihn mit der Aussicht geködert, ihm einen Job beim Tempelorchester zu Jerusalem zu verschaffen. Für so etwas tut er sicher alles.«
    »Aus Liebe zum Meister tut er noch mehr«, sprach Natanael mit aller Würde, die ihm zu eigen war.
    »Unsere theologische Autorität hat gesprochen«, sagte Judas versöhnlich, »wir fügen uns und begraben unseren Verdacht.«
    Er begrub ihn aber nie.
    Einen Vorzug des kurzen Jakob konnte keiner bestreiten. Jedesmal, wenn jemand zu müde zur Nachtwache war, übernahm er sie gern. Er brauchte wenig Schlaf und liebte es, vor dem Feuer zu sitzen und jene Gespräche zu führen, zu denen er sonst den Mut nicht fand. Wenn sich die Gefährten unter ihren Decken zusammengerollt hatten und die gleichmäßigen Atemzüge verrieten, daß sie eingeschlafen waren, sprach er sie an.
    »Ihr haltet mich für primitiv. Weil ich humple mit meinem zu kurzen Bein. Und weil ich mich fürchte vor euch und wenig rede. Ich denke auch nicht viel, gebe ich zu. Ich bin, wie ich bin. Warum paßt euch das nicht? Ihr sagt: Jakob, wasch dich öfter! Spül dir den Mund besser aus und nuschle nicht so beim Reden! Schmatz nicht beim Essen! Sauf nicht so gierig! Immer meckert ihr an mir herum. Judas möchte mich am liebsten fortjagen. Bloß weil ich ihn durchschaue. Er liebt das Geld. Und keiner von euch merkt das. Lieber haltet ihr mich für einen Spitzel. Ich und Spitzel! Aber fortjagen kann er mich nicht. Das kann keiner von euch. Der Meister läßt es nicht zu. Der Meister liebt mich nämlich. Laßt mich also in Frieden! Der Meister sagt: Mit schmutzigen Fingern essen macht nicht schmutzig; was in den Mund hineinkommt, macht auch nicht schmutzig; aber was herauskommt, das macht unrein und wirkt weiter wie Gift. Meine Posaune stört euch auch. Oder jedenfalls ihre Töne. Müssen die immer richtig sein? Was aus euch kommt, klingt oft noch falscher. Und ich rege mich nicht auf. Laßt mir doch meine Musik! Ich nehme euch auch nichts weg. Auch nicht die guten Posten rechts und links vom Meister. Mir genügt der Platz zu seinen Füßen. Flauptsache, nahe bei ihm. Er meckert nicht an mir herum. Er sagt nicht: Wasch dich, kämm dich, säubere deine Fingernägel! Er kennt mich. Er sieht mich an und weiß alles, was in mir ist. Wenig Gutes, viel Böses. Und viel Neid. Neid auf euch, ja, auf euch. Auf eure gesunden Glieder. Auf eure schönen Körper. Auf eure Boote und Häuser. Auf eure Frauen. Das ist manchmal schwer, verdammt schwer. Aber in seiner Nähe wird's leicht. Und darum folge ich ihm, wohin er auch geht.«

ZWISCHENSPIEL IN EPHESUS (II)

    »Unser kurzer Jakob hat Wort gehalten«, sagte Johannes. »Als erster von uns allen erlitt er den Tod für den Herrn. Auf Befehl des Prokurators Festus wurde er in Jerusalem gesteinigt, aber nicht als unappetitlicher Primitiver, auch nicht als Posaunist des Tempelorchesters, sondern als Haupt der Christengemeinde von Jerusalem, als ihr erster Bischof sozusagen. Ja, da staunst du. Wer hätte das gedacht, als er damals unscheinbar und von vielen gemieden hinter uns her humpelte? Doch keinen rüttelte der Sturm am Pfingsttag so auf wie ihn, an keinem bewährte sich die Kraft des Heiligen Geistes stärker als an ihm. Er wurde zwar nicht länger und humpelte bis ans Ende seiner Tage, aber der bisher nur glimmende Docht seines Geistes — wenn ich mich biblisch aus-drücken soll — loderte plötzlich feurig empor. Er fand Worte, die er jahrelang vergeblich gesucht hatte, und stand eines Tages wie selbstverständlich an der Spitze der Gemeinde. Aber dich scheint das gar nicht sonderlich zu interessieren, Poly, du rutschst nervös auf deinem Sitz herum, als drückte dich was. Fehlt dir etwas?«
    »Mir fehlt nichts, aber ich vermisse etwas«, entgegnete Poly.
    »Was vermißt du denn?«
    »Die Liebe. Von der Liebe war bisher überhaupt nicht die Rede. Das wird manche Leser, vor allem

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