Zwölf im Netz
dir.«
»Ganz recht«, sagte sie, »ihm droht ja auch nicht dasselbe wie mir: auf stehen beim ersten Hahnenschrei, den Herd anzünden, die Milch anwärmen, den Mann wecken, ihm die Stiefel anziehen, die Betten lüften, das Gemüse putzen, den Nudelteig kneten, die Teller abwaschen, das Geld nachzählen, die Kinder kriegen, die Kinder füttern, die Kinder verdreschen, dem Mann die Stiefel ausziehen und mit dreißig Jahren aussehen wie ein altes Fischerweib.«
»Du starrst nur auf die Schattenseiten«, sagte Jesus ernst. »Die fehlen in keinem menschlichen Schicksal, auch in der goldenen Freiheit nicht. Frag mal deinen Bruder auf Ehre und Gewissen nach dem, was er nicht nach Hause schreibt! Sei fair zu dir selbst, verschließ deine Augen vor den Sonnenseiten nicht. Wovor du davonlaufen willst, das nehmen Millionen Frauen auf sich, und viele finden ihr Glück darin.«
»Rabbi Jesus, mich interessiert absolut nicht, welches Glück Millionen Frauen finden. Ich bin Veronika, ich habe meine eigene Ansicht vom Glück, meine ganz persönlichen Wünsche ans Leben. Es macht mir nichts aus, wenn ich deswegen ausgelacht werde oder gar bestraft. Auch heute muß ich es noch büßen, weil ich zu dir gelaufen bin, anstatt meiner Mutter beim Erbsenpuhlen zu helfen. Das tut nicht weh, weh tut etwas anderes.«
»Was tut weh, Veronika?«
Einen Augenblick lang schien sie unsicher, ob sie die Antwort riskieren dürfe. Dann aber blickte sie Jesus fest in die Augen und sagte: »Daß es im Gottesreich genauso ungerecht zugeht wie überall sonst.«
Jesus blieb völlig ruhig. »Ungerecht — wie meinst du das?«
»Daß die Jungen alles gelten und wir Mädchen absolut nichts. Bitte, Rabbi, tröste mich jetzt nicht mit der alten Leier: Das war immer so — bei den Juden wie bei den Ägyptern, bei den Griechen wie bei den Römern; und wo es anders war und die Frauen herrschten, da verweichlichten und verlotterten die Völker und gingen kläglich zugrunde. Ich kann das nicht mehr hören!«
»Das begreife ich gut. Du willst ja auch gar nicht, daß die Frauen herrschen...«
»Richtig. Das wäre womöglich das schlimmere Übel. Was ich will, ist gleiche und gerechte Behandlung. Und von dir möchte ich wissen, ob du damit einverstanden bist.«
»Absolut, Veronika.«
»Und warum führst du es dann nicht ein in deinem Reich?« Jesus antwortete nicht gleich. Er beugte sich vor und schrieb mit dem Zeigefinger in den Sand, seltsame Zeichen, die Veronika nirgends gelesen hatte. Dann richtete er den Blick eindringlich auf sie und sprach: »Im Reiche Gottes, Veronika, gibt es keinen Unterschied mehr zwischen Mann und Frau. Gott achtet nicht auf die Merkmale der Geschlechter, sondern auf das Maß der Liebe.«
»Das mag für den Himmel gelten, Rabbi. Aber du behauptest, das Reich Gottes sei schon da — und dich umgeben nur Männer. Findest du das in Ordnung?«
»Einige Frauen folgen mir doch auch.«
»Naja.«
»Was soll dieser skeptische Seufzer?«
»Ich will dich nicht kränken, Rabbi«, sagte sie gedehnt. »Keine Angst, trau dich nur ran ans heikle Thema.«
Sein salopper Tonfall machte ihr Mut. »Also, was ich jetzt sage, stammt von meiner besten Freundin. Sie denkt ähnlich wie ich und hat neulich gemeint, um Jesus nachzufolgen, muß man entweder ein Mann, ein leichtes Mädchen oder eine schwere Dame sein. Bist du mir jetzt böse, Rabbi?«
»Im Gegenteil«, sagte er fröhlich, »ich frage mich allerdings, ob diese beste Freundin nicht zufällig Veronika heißt und zu meinen Füßen sitzt.«
Sie wurde feuerrot im Gesicht. Doch rasch sprang seine Heiterkeit wieder auf sie über. »Rabbi, es war absolut richtig, daß du nicht geheiratet hast. Du würdest jede Frau bitter enttäuschen — weil sie dir nichts vormachen kann. Es stimmt nämlich, der Ausspruch stammt von mir. Ich wollte bloß nicht angeben damit; denn ich finde ihn absolut gelungen, einen Volltreffer gewissermaßen. Du doch auch?«
»Der Ausspruch klingt gut«, erwiderte Jesus, »aber ob er voll trifft? Du mußt mir erst erklären, was schwere Damen sind.«
»Das ist doch ganz leicht, diese Johanna zum Beispiel. Erstens ist sie schwer im wörtlichen Sinn, zweitens schwer-reich, hat genügend Personal, das für sie arbeitet, ihre Kinder sind erwachsen und versorgt; ihr Mann vermißt sie kaum. Sie kann getrost auf Reisen gehen und dich begleiten. Und eine sittliche Gefahr für deine Freunde stellt sie auch nicht dar, nicht einmal für Philipp.«
»Gut definiert, Veronika«,
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