Zwölf im Netz
sagte Jesus vergnügt, »jetzt weiß ich endlich, was eine schwere Dame ist. Und ein leichtes Mädchen?«
»Jetzt machst du dich lustig über mich. Das weiß doch jeder, Meister. Zugegeben, zu deiner engeren Gesellschaft zählt nur eine von ihnen, die aus Magdala, und sie soll ja gründlich bekehrt sein. Aber andere, weniger gründlich Bekehrte, saßen schon öfter mit dir zu Tisch, beim Zöllner Levi zum Beispiel. Und du nimmst sie immer in Schutz. Bitte, versteh mich nicht falsch, ich kritisiere das nicht, ich beneide die Mädchen sogar. Ich hätte auch mal gern einen ganzen Abend mit euch zusammen gefeiert. Aber Veronika ist ein brave Tochter und tut sowas nicht. Sie sitzt abends zu Hause, bestens behütet, strickt Pulswärmer für die Verwandtschaft und ärgert sich höchstens zwischendurch mal über ihren unausrottbaren Verdacht, daß man halt entweder über die besten Jahre hinaus oder eine ehemalige stadtbekannte Sünderin sein muß, um in die Nähe des Rabbi von Nazareth zu dürfen.«
»Muß man, Veronika? Laß ich mich nicht von jedem anfassen, von jedem berühren? Du selbst hast viele Heilungen miterlebt. Achte ich darauf, welchem Stand oder welchem Geschlecht die Kranken angehören? Ich führe jedenfalls keine Statistik darüber und du hoffentlich auch nicht.«
»Meister, so meine ich das nicht. Du bist in Ordnung, absolut. Niemand kann ganz aus der Haut schlüpfen, in der unsere ganze Zeit steckt, das seh ich ein. Aber du versuchst es wenigstens, es glückt dir auch oft; du schiebst so viele Hürden zwischen den Menschen beiseite, warum nicht auch diese? Den jungen Burschen rufst du zu: Laßt die Netze liegen, nehmt die Hand vom Pflug, folgt mir nach! Und wie viele kommen? Zwölf! Sprich doch mal uns Mädchen an und sag meinetwegen: Laßt den Suppentopf stehn, räumt die Betten nicht mehr auf, schenkt eure Aussteuer den Armen und folgt mir nach! Zwölf mal zwölf würden folgen. Und wir würden euch sogar noch« — jetzt blitzte der Schalk in ihren Augen auf — »die Hemden waschen und die Socken stopfen.«
»Schön wär's«, sagte Jesus, »aber was passiert, bevor die Hemden getrocknet sind? Zwölf mal zwölf Eltern schicken uns zwölf mal zwölf Polizisten auf den Hals. Mich setzen sie als Mädchenhändler hinter Schloß und Riegel, euch stellen sie zu Hause unter allerstrengste Aufsicht. Was hättest du davon?«
»Absolut nichts«, gab sie zu, »außer einem weiteren Beweis für die himmelschreiende Ungerechtigkeit. Meister, kannst du nicht deinen Vater bitten, dir ganze Regimenter von Engeln zu schicken, damit sie mit dem Schwert dreinhauen?«
»Und den Knoten durchschlagen, den wir geduldig auflösen sollen? Veronika, du bist ein kluges Mädchen, darum möchte ich dir etwas sagen: Ungerechtigkeiten und Mißstände, deren Wurzeln in fernste Vergangenheit hinunterreichen, lassen sich nicht mit einem Hieb ausrotten oder herauszupfen wie angewehtes Unkraut. Und zu diesen Mißständen gehört leider auch, was dich so heftig empört: nämlich daß man über euch Mädchen viel zu früh verfügt und euch verbietet, was man den Jungen erlaubt. Doch das zu ändern, fehlt mir die Vollmacht. Es würde auch die Kräfte eines kurzen Menschenlebens übersteigen. Zum Hexenmeister aber, der alle äußeren Ungerechtigkeiten hinwegzaubern könnte, hat mich mein Vater nicht bestellt. Wozu er mich gesandt hat, weißt du ; du hast es oft gehört: euch allen die frohe Botschaft zu verkünden, wie sehr er jeden einzelnen liebt und daß jeder von euch zu ihm Vater sagen darf, ganz gleich, ob Mann, Frau, ob Junge, ob Mädchen. Wie jeder die Botschaft aufnimmt, ist seine persönliche Sache, die Botschaft gilt für alle gleich.«
Während der letzten Sätze hatte Jesus seine Stimme eindringlich, fast feierlich erhoben. Er entschuldigte sich dafür. »Ich wollte nicht ins Predigen geraten, Veronika. Aber manche Wahrheit läßt sich im Geplauder nur schwer unterbringen.«
»Entschuldigen? Aber Meister«, sagte sie, »ich fühle mich absolut geehrt. Eine Extrapredigt für eine dumme Göre, ein vorlautes Baby wie mich! Wenn das deine Jünger erfahren, rotieren sie vor Neid. Ich verspreche dir auch, über deine Worte nachzudenken; neunzig Prozent davon leuchten mir bereits ein, und die restlichen zehn Prozent...«
»Schaffst du auch noch, wie ich dich kenne.«
Sie strahlte. Schade, daß ihr Bruder in Karthago dies Kompliment nicht hören konnte! »Eigentlich bin ich jetzt gar nicht mehr so eifersüchtig auf die jungen
Weitere Kostenlose Bücher