Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zwölf im Netz

Zwölf im Netz

Titel: Zwölf im Netz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adalbert Seipolt
Vom Netzwerk:
geantwortet: der Rabbi aus Nazareth! Doch sie wollte ihren Mann nicht reizen; er gehörte noch immer zum harten Kern der Verächter des Nazareners, vor allem natürlich, weil er ihm zwei tüchtige Arbeiter abspenstig gemacht hatte: Johannes und Jakob. Salome nannte darum alle möglichen Namen aus der Verwandtschaft und Bekanntschaft, nur nicht den einen, von dem sie ahnte, daß es der richtige war. Sie wollte nicht schon wieder klüger erscheinen als ihr Mann. Er strahlte denn auch befriedigt, als er sagte: »Daß du nicht auf den Namen kommst: Onkel Joseph ist es ; er hat einen Botenjungen vorausgeschickt, um mir seine Ankunft zu melden. Also, marsch in die Küche, Weib! Du weißt doch noch, was Onkel Joseph am liebsten mag.«
    »Ja«, rief sie zurück, schon auf dem Weg zum Fischbottich, »einen eingemachten Familienvater.«
    Zebedäus lachte. Der »Familienvater« — in Tiberias wurde er unter dem lateinischen Namen »Paterfamilias« serviert — war der kurze, aber breite Kammfisch, der sein Maul als Kinderstube und sichere Zuflucht für seine Jungen, bis über 100 an der Zahl, verwendet. Mit Zwiebeln und Knoblauch eingemacht, schmeckte er fast noch besser als gebraten, jedenfalls dem Onkel Joseph, vorausgesetzt, es wurde ihm dazu ein herber Weißwein aus Bet-Laban kredenzt, gekauft bei denselben Winzern, die den Tempel in Jerusalem mit ihren Produkten versorgten.
    Onkel Joseph war die geistliche Autorität in der Verwandtschaft. Er hatte das Gesetz und die Propheten studiert und hätte seine priesterliche Laufbahn, die in einem galiläischen Bergnest begann, gern in Jerusalem fortgesetzt; doch den Galiläern blieb der Zugang zu höheren geistlichen Würden versperrt, und so meldete er sich in die Diaspora. Seit zwölf Jahren leitete er eine große jüdische Gemeinde in Syrien; seine Heimat pflegte er zu durchqueren, wenn ihn die Reise nach Jerusalem an den See Genezareth führte; aber nicht immer nahm er sich Zeit, seinen Neffen Zebedäus aufzusuchen. Die Großneffen Jakob und Johannes pflegten sich über diese Besuche pflichtschuldigst zu freuen, betrachteten sie aber insgeheim mehr als Heimsuchungen; denn der geistliche Onkel examinierte sie für sein Leben gern und prüfte nach, ob der Pegel ihres religiösen Wissens mit ihrer Körperlänge wuchs oder ob er, wie leider bei so vielen jungen Burschen, abzusinken drohte.
    Nun, in diesem Punkt durfte er mit den Großneffen zufrieden sein. Jakob, praktisch veranlagt und von beruflichem Ehrgeiz beseelt, hatte den Wünschen der Eltern gemäß ein Mädchen aus gottesfürchtiger und geschäftstüchtiger Familie und auf seine erste Liebe verzichtet, die zwar hübscher, aber von etwas zweifelhafter Herkunft war. Eigentlich hätte die Hochzeit längst gefeiert werden müssen, doch man wartete anstandshalber, bis der Vater der Braut von seiner Auslandsreise zurückkehren würde.
    Und Johannes? Ein heißblütiges, leicht entflammbares Temperament, aber von einem so auffallenden Gespür für religiöse Zusammenhänge, daß er seinen Eifer eher bremsen als beschleunigen mußte. Der geistliche Onkel wußte aus Erfahrung, wie rasch religiöse Begeisterung in ihr Gegenteil Umschlägen konnte, wenn ihr nicht die notwendige Dosis gesunden Hausverstandes beigemischt war. Darum pflegte er auch Johannes die Glaubenswahrheiten Lehrstück um Lehrstück abzufragen.
    Von den Umtrieben des Nazareners waren Gerüchte bis zu ihm nach Syrien gedrungen. Doch er hätte es nie für möglich gehalten, daß sich die Söhne eines so stramm rechtgläubigen Mannes wie Zebedäus und seiner gottesfürchtigen Frau auf diesen »selbsternannten Messias von Untergaliläa« hereinfallen würden.
    »Da komme ich ja, scheint es, im richtigen Augenblick«, stellte der geistliche Onkel fest, als Zebedäus ihm gleich nach der Ankunft seinen Kummer mit den Söhnen anvertraute.
    »Das meine ich auch. Dich hat Gott geschickt! Ich weiß mir nämlich keinen Rat mehr. Diese jungen Burschen finden auf jedes meiner Argumente ein verblüffendes Gegenargument. Aber du bist Theologe. Dich werfen sie bestimmt nicht aus dem Sattel.«
    Onkel Joseph strich sich den Bart. Die lange Tätigkeit in der Diaspora hatte seine Disputierkunst noch gesteigert. »Sie mögen nur kommen, deine Herren Söhne.«
    Doch da lag die Schwierigkeit. Würden sie kommen? Sie waren zwar heute zur Arbeit erschienen — angeblich hatte sich Jesus für einige Tage ins Gebirge zurückgezogen — , aber es war ungewiß, ob sie auf die Nachricht von der

Weitere Kostenlose Bücher