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Zwölf im Netz

Zwölf im Netz

Titel: Zwölf im Netz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adalbert Seipolt
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vermag ich mir nicht vorzustellen, daß der Messias erstens aus einer unbedeutenden Familie und zweitens aus einem unbedeutenden Nest in Galiläa kommt. Dem widersprechen alle Propheten.«
    »Unbedeutende Familie? Er soll aus dem Geschlechte Davids stammen.«
    Der Onkel breitete nachsichtig die Arme aus. »Wer entstammt nicht alles dem Geschlechte Davids? Von zehn Juden behaupten das mindestens drei. David ist seit tausend Jahren begraben. Daß dieser Jesus Sohn eines schlichten Zimmermanns ist, der in seiner Heimatgemeinde niemals als religiös eifriger Mensch hervortrat, kannst du nicht bestreiten. Und nun soll er der Sohn Gottes sein.«
    »Des Zimmermanns und Gottes Sohn — warum siehst du hier Widersprüche? Du bist ein gelehrter Priester und ein verbohrter Greis zugleich. Kennst du Jesus? Hast du ihn predigen hören? Ihn heilen sehen? Hast du das Glück der Menschen erlebt, wenn er ihnen die Sünden vergibt? Warst du dabei, als seine Feinde, die noch viel schlauer sind als du, sich davonschlichen wie geprügelte Hunde? Hast du schon mit ihm eine Nacht im Gebet verbracht? Hast du das Brot mit ihm geteilt, aus einem Becher mit ihm getrunken? Hat dich sein Wort in den Schlaf begleitet, hat dich seine Hand am neuen Morgen geweckt? Weder noch, weder noch, weder noch! Trotzdem maßt du dir an, über ihn zu urteilen. Warum? Aus Neid? Aus Stolz? Oder meinem Vater zuliebe? Oder weil du verkalkt bist und dir nicht vorstellen kannst, daß das Reich Gottes anders naht, als du es jahrzehntelang gepredigt hast? Wenn der Messias keinen Hohenpriester zum Vater und keine Königstochter zur Mutter hat, akzeptierst du ihn wohl nicht? Er muß einer aus euren ersten Kreisen sein, muß die Ehrensitze in den Synagogen lieben und die ehrfürchtigen Grüße auf dem Marktplatz. Wehe euch, ihr seid wie getünchte Gräber, die Leute gehen über euch hinweg, ohne es zu wissen.«
    »Das kommt nicht aus ihm selbst, das quatscht er diesem verdammten Nazarener nach.«
    »Ja, ich quatsche ihm nach, hochverehrte Geistlichkeit, und ich werde ihm nachquatschen, solange ich lebe, und weder du noch er« — dabei zeigte er auf den Vater — »werdet mich daran hindern.«
    Johannes stürmte zur Tür hinaus.
    Onkel Joseph und sein Neffe Zebedäus blieben bekümmert zurück.
    »Eine böse Geschichte«, sagte der Priester, »ein fast unheilbarer Fall.«
    »Ich fürchtete es von Anfang an. An ihm prallen sogar die vernünftigsten Argumente ab. Wo soll das noch enden, Onkel?«
    »Nur die Erfahrung kann helfen, und wir müssen beten, daß diese Erfahrung nicht zu grausam abläuft. Immerhin, wir dürfen hoffen; schon mancher Spuk verschwand ebenso schnell, wie er auftauchte. Auch die Bäume dieses selbsternannten Messias wachsen nicht in den Himmel. Hier in der Provinz macht seinesgleichen Eindruck. Stell den mal in Jerusalem den klügsten, gelehrtesten und heiligsten Männern unserer Priesterschaft gegenüber — ganz klein wird er da. Doch vielleicht braucht es das gar nicht mehr. Ihm sollen ja auch Weiber nachlaufen, und nicht unbedingt die sittenreinsten. Wer weiß, eines Tages erliegt er dem Charme einer solchen Nachläuferin, dann verpufft sein ganzes Charisma von selber. Er wäre nicht der erste falsche Prophet, der darüber seine Sendung vergißt. Ähnliches gilt für deinen Sohn. Ich hätte ihn zwar ursprünglich lieber die geistliche Laufbahn einschlagen lassen und ihn für zwei Jahre auf eine theologische Schule geschickt, hätte das sogar finanziert, fürchte aber, daß er zur Zeit einen solchen Vorschlag mit Hohngelächter quittiert. Notfalls bleibt dir nur eine drastische Lösung übrig, Zebedäus. Steck ihn möglichst bald ins Ehebett, vielleicht kuriert ihn das von seiner Wahnidee.«
    »Schäme dich, Onkel Joseph!« ertönte plötzlich die Stimme Salomes. Die beiden Männer hatten gar nicht bemerkt, daß sie in der Türe stand.
    »Salome, hast du gehorcht?« fragte Zebedäus verärgert. »Was heißt hier gehorcht? Gehört habe ich, und weil man in der Küche nur ungenau versteht, habe ich mich an die Türe gestellt.« Sie stemmte beide Fäuste in die Hüften. »Schließlich möchte eine Mutter gerne wissen, was die Herren über ihre Kinder beschließen. Und ich kann nur wiederholen: Schämt euch, du als Vater, du als Priester! Meinen Liebling, noch keine achtzehn Jahre alt, an ein Weib verkuppeln, damit er seinen Rabbi vergißt. Ein typisch männlicher Ausweg.«
    »Weißt du einen besseren?« fragte der Onkel mürrisch. »Ich sehe überhaupt

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