Zwölf im Netz
Autoritäten.«
»Dafür gibt es gute Gründe. Zum Beispiel: neuer Wein in neue Schläuche.«
»Auch so ein billiger Werbespruch von ihm. Und zu den neuen Schläuchen zählen alle unmündigen Knaben, wie? Oder zumindest zu denen, die sich von seinem neuen Wein berauschen lassen. Kana und kein Ende.«
»Was paßt dir an Kana nicht? Daß du den besten Freiwein des ganzen Jahrhunderts verpaßt hast? Ausgerechnet ein Kenner wie du.«
»Kana scheint mir ganz typisch für diese Sorte von Volksverführer, meinetwegen für solche Propheten. Man versetzt die Leute in einen Rauschzustand — es muß nicht einmal Wein sein, du verstehst mich schon — , mindert auf diese Weise ihre Urteilskraft, trübt den kritischen Blick, schaltet gewisse moralische Hemmungen aus und hat leichtes Spiel mit ihnen. Dazu braucht es gar keinen Wein. Eine hinreißende Rede, eine sogenannte Wunderheilung im psychologisch günstigen Moment, am besten kombiniert durch Blitz und Donnerschlag, und schon geraten die vorderen Reihen der Schaulustigen und Wundersüchtigen in helle Verzückung.«
»Sie glauben.«
»Sie bilden sich ein, zu glauben, er bildet sich ein, daß sie glauben. Aber wie lange hält ein solcher Glaube an? Genauso lange wie er vor ihnen steht — nachher zerstreut sich alles wieder.«
»Alles nicht. Ich zum Beispiel.«
»Ja, du zum Beispiel. Du und deinesgleichen, weltfremde, unerfahrene Phantasten, genauso wie er. Dir nimmt es keiner übel, mit deinen siebzehn Jahren, aber dieser Jesus soll bereits dreißig sein. Mit dreißig Jahren steht ein Mann mit beiden Füßen auf dem Boden oder es pustet ihn die erste scharfe Bö davon. Ein Mann ohne feste Stellung, ohne festen Wohnsitz...«
»Ohne feste Spareinlagen, sag's nur gleich. Ohne Konto bei der Tempelbank.«
»Alles in allem: ohne jede Chance. Und so was geht auf Menschenfang aus, unverantwortlich! Merkt er denn gar nicht, welche Verwirrung er in leichtempfänglichen Gemütern anrichtet?«
»Verwirrung? Finde ich nicht. Mir wird alles klarer in seiner Nähe, vor allem...«
»Klarer? Wenn er dich fortlockt von der Arbeit, von den Eltern, von deiner sicheren Zukunft in eine höchst ungewisse hinein?«
»Ungewiß? Was ist gewisser als das Reich Gottes, seit er da ist?«
»Er, er, er!« rief Zebedäus, wütend über so viel Unbelehrbarkeit. »Immer nur er! Sind wir denn gar nichts? Dein Onkel Joseph zum Beispiel, hochgelehrt, hochgeachtet, vorbildlich im Kampf für den rechten Glauben, mutig auf tretend gegen alle Verrohung und sittliche Verwahrlosung, bekannt in ganz Syrien, gern gesehen in Jerusalem, was findest du an deinem Rabbi Jesus großartiger und besser?«
»Zum Beispiel, daß er mich ausreden läßt. Onkel Joseph hat mich immer unterbrochen.«
»Lächerlich!«
»Für mich ist das überhaupt nicht lächerlich. Jesus nimmt mich ernst, für deinen Onkel bleibe ich ein unbelehrbarer Phantast, und du bist wie der Fisch, den ihr verspeist habt, du willst die Jungen möglichst lang im Maul behalten.«
»Kerl!« Zebedäus holte zum Schlag aus, doch der Onkel drückte den erhobenen Arm zurück. »Bleib ruhig, Neffe. Lassen wir das Auf zählen von Unterschieden. Kommen wir lieber zum kritischen Punkt. Johannes, du glaubst also im Ernst, daß dieser Jesus der verheißene Messias ist?«
»Ja, der Sohn Gottes.«
»Sohn Gottes im übertragenen Sinn darf sich jeder gläubige Jude nennen. Ein Sohn Gottes im wörtlichen Sinn ist eine Gotteslästerung. Ist dir das klar?«
»Nein. Ich finde es eine Gotteslästerung, Gott verbieten zu wollen, einen Sohn — im w ö rtlichen Sinne — zu zeugen.«
»Johannes, das ist blankes Heidentum. Auf solche Äußerungen steht im Gesetz die Todesstrafe«, ereiferte sich Zebedäus. »Und das in meiner Familie! Ich sehe dich schon zum Tod am Galgen verurteilt.«
»Beruhige sich, Neffe! Ja, es klingt nach Gotteslästerung, aber vorläufig scheint es mir eher eine Begriffsverwirrung zu sein. Johannes, hör mal gut zu. Auf den Messias warten wir alle, ich für meine Person so sehnsüchtig wie du. Aber glaubst du wirklich, daß dieser erwartete Messias deinem verehrten Rabbi aus Nazareth gleichen wird?«
»Wem sonst? Etwa der vollgemästeten Geistlichkeit?«
»Kerl, ich zerschlag dir alle Knochen!« Zebedäus ballte die Faust; wieder mußte ihm der Onkel in den Arm fallen. Freilich, auch ihm machte es Mühe, die Fassung zu bewahren. »Johannes«, sagte er mit pastoraler Eindringlichkeit, »ich hege keine sozialen Vorurteile — trotzdem
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