Zwölf im Netz
Schüler steht über seinem Meister.«
Mit einer stolzen, sorgfältig verbuchten Erfolgsbilanz wartete Judas auf. Zusammen mit dem Zebedäussohn Jakob hatte er in neun Dörfern und fünf Städten gepredigt, insgesamt einundzwanzig Kranke geheilt, darunter sechs Blinde, und dreizehn Dämonen ausgetrieben. Sechsmal hatte man sie ungnädig empfangen, und sie hatten vorschriftsmäßig den Staub von den Füßen geschüttelt.
Auch Thaddäus und der Zelot klagten nicht über Mißerfolge oder Ungastlichkeit. Vorsichtshalber wählten sie Ortschaften aus, in denen keine römischen Soldaten stationiert waren. Simon hat sogar eine Rede von sieben Minuten gehalten, verkündete Thaddäus stolz. Es geschehen noch Zeichen und Wunder.
»Dasselbe gilt für Natanael«, rief Philipp lachend aus, während sein Freund sichtlich verlegen dreinsah. »Stellt euch vor, sobald unser notorischer Weiberfeind redete, hing ihm das so verhaßte Geschlecht an den Lippen, er wuchs über sich selbst hinaus, steigerte seinen farblosen Stil bis zu flammender Ero-, Rhetorik meine ich. Alles, was Röcke trug, umschwärmte Natanael. Und was blieb mir? Unmündige Gören und entmündigte Alte.«
»Solche Bekehrungen müssen wir feiern«, rief Andreas. »Werft ein paar dicke Scheite ins Feuer und holt eine Kanne Wein vom Wirt.«
Als sie die Fische gerade zum zweitenmal umwendeten, trafen die letzten ein, richtig gesagt, die Hälfte des letzten Paares. »Thomas«, fragte Philipp, »hast du Levi unterwegs verloren?«
»Nein, nein«, erwiderte Thomas, »der arme Kerl leidet an Durchfall und hockt im Gebüsch, kommt aber gleich nach.«
»Ging's euch so schlecht?«
»Nur am Anfang. Ihr wißt ja, die Pärchenbildung paßte mir gar nicht. Ausgerechnet Levi und ich, als schäbiger Rest sozusagen. Wir kannten uns doch kaum ; ich hatte seit seiner Berufung nur wenige Worte mit ihm gewechselt. Ist ja auch klar. Gegen Bürokraten war ich immer allergisch, und erst recht gegen solche, die uns das Geld aus der Tasche ziehen. Mochte uns Jesus auch hundertmal einhämmern: »Liebet einander!- Den Zöllner klammerte ich aus. Und ausgerechnet mit diesem spannt er mich zusammen.«
»Da, trink erst mal einen kräftigen Schluck«, forderte ihn Thaddäus auf. »Die Fische sind auch schon durchgebraten. Nimm dir den größten.«
Nachdem sich Thomas gestärkt hatte, erzählte er weiter. »Levi schien übrigens ähnlich freundliche Gefühle gegen mich zu hegen. Mit einem Krach fing es an. Er wollte partout seinen Hund mitnehmen, diesen angeblich reinrassigen Köter mit dem stolzen Namen Kambyses. Kommt gar nicht in Frage, erklärte ich kategorisch. Warum denn nicht? fragte er. Jesus hat uns zwar Geld, Reisetaschen, ein zweites Gewand und Schuhe verboten — von Hunden hat er nichts gesagt. Ich knurrte zurück: Von Elefanten auch nicht, und trotzdem lasse ich meinen Jumbo im Käfig. Aber wenn du unbedingt darauf bestehst und ohne deinen vierfüßigen Freund weder predigen noch Hände auflegen kannst — bitte, in der Not frißt der Teufel sogar deinen Pudel. Was? rief er entsetzt, du willst Kambyses schlachten? Wollen nicht, lenkte ich ein, doch unter Umständen müssen, wenn uns niemand etwas Genießbares schenkt. Ein Tierfreund bist du also nicht, stellte er mit komischer Betrübnis fest. Aber ein Menschenfreund, sagte ich, um ihn aufzuheitern, und erteilte Kambyses großzügig die Mitreiseerlaubnis. Levi musterte mich argwöhnisch. Ich verzichte darauf, erklärte er mir, du willst an dem wehrlosen Tierchen bloß deinen geheimen Sadismus austoben.«
Andreas mußte lachen: »Wehrloses Tierchen? Schau her«, er deutete auf eine Bißwunde an der rechten Wade. »Verdanke ich auch diesem lieben Kambyses. Wie ging's mit ihm weiter?«
»Kambyses kam mit.«
»Und landete nicht in der Pfanne?«
»Nein, bei einem kranken Mädchen in Megiddo, Levi hat ihn verschenkt.«
»Der Hund war sein letztes Besitztum«, gab Johannes zu bedenken.
»Eben darum hat er's auch getan. Wir brachen also auf. Mein erster Gedanke war: Levis dicker Bauch und seine dünnen Beine, wie sollen die das aushalten? Spätestens am dritten Tage klappt er zusammen. Um meiner Prognose nachzuhelfen, suchte ich die steilsten und steinigsten Pfade aus. Der arme Zöllner schwitzte nicht schlecht und schimpfte wie ein Rohrspatz, doch seltsamerweise nicht auf mich, sondern auf das Geröll, das Dornengestrüpp, auf die Ameisen und die sengende Sonne. Abends streckte er alle viere von sich, wie sein Kambyses. Ich
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