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Zwölf im Netz

Zwölf im Netz

Titel: Zwölf im Netz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adalbert Seipolt
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nicht.«
    Simon Petrus hatte die ganze Zeit aufmerksam zugehört, aber nichts gesagt. Jetzt fühlte er sich doch zu einer Zusammenfassung auf gerufen. »Ihr habt euch beide ausgezeichnet gehalten, Levi und Thomas, genau wie der Herr es verlangt hat: — Seid klug wie die Schlangen und arglos wie die Tauben.-«
    »Ja«, sagte Levi, »und müde wie ein Hund«, und er streckte alle viere von sich.

Der Härtetest

    Die Nacht war vorgerückt. Auf dem See lastete der Nebel. Simon erkannte seine Fischerhütte erst im letzten Augenblick. Die Tür war versperrt. Solange er in dem Haus schlief, hatten sie das nie getan. Doch es war verständlich, seit die beiden Frauen und das Kind ohne männlichen Bewacher die Nacht zubrachten. Zum Glück trug er immer den Hausschlüssel bei sich; er schloß auf. Wie immer brannte im Flur ein Talglicht. Leise öffnete er die Tür zum Schlafzimmer, hörte Esthers tiefe Atemzüge und die kürzeren seines Sohnes, der im Bett seinen Platz eingenommen hatte.
    Er trat wieder auf den Gang hinaus und öffnete die Tür zur Wohnküche. Noch stand alles an seinem alten Platz, der Tisch, die Sitzpolster, die Anrichte, der Schrank mit dem Feiertagsgeschirr. Es hing noch der Geruch vom Abendessen im Zimmer, gebratener Fisch mit Zwiebeln. Wie an jedem zweiten Wochentag. Es schien alles unverändert, trotzdem kam es ihm fremd vor, unvertraut. Gehörte er gar nicht mehr hierher? Wann hatte er das Haus zum letzten Male betreten: vor acht, zehn oder vierzehn Tagen? Bei Jesus zählt man keine Tage, da ist jede Stunde die einzige. Warum war er überhaupt nach Hause gekommen? Um sich vorjammern zu lassen, wie unentbehrlich er sei? Gewiß nicht, außerdem schienen sie ohne ihn mit der Arbeit fertig zu werden, genauso, wie es die Schwiegermutter vorausgesagt hatte. Nein, eigentlich war er gekommen, um sein Herz auszuschütten, um einen Zuhörer zu finden für das, was er nicht stumm in seiner Brust begraben konnte. Doch nun schliefen sie, und es schien ihm ungehörig, sie aus dem Schlummer zu reißen, um ihnen vorzuschwärmen, wie glücklich er sei, seit er sie verlassen hatte.
    Es ist besser, ich gehe wieder, dachte er sich und machte kehrt, stieß aber dabei so ungeschickt an den Schrank mit dem Geschirr, daß das feine Klirren der Gläser Lea weckte, und noch ehe er auf Zehenspitzen die Tür erreicht hatte, zupfte sie ihn am Ärmel: »Simon« flüsterte sie voller Freude und zog ihn in die Wohnküche zurück, »daß du wieder da bist. Komm, setz dich nieder. Was darf ich dir anbieten?« Er hob abwehrend die Hand. »Danke, ich brauche nichts.« Aber da schnitt sie ihm schon eine Scheibe weißes Brot ab und setzte ihm einen Becher mit frischem Wasser vor. »Wie geht es Esther und dem Kind?«
    »So gut, wie die Umstände es zulassen, Joschi fragt natürlich oft nach dem Papa. Wir trösten ihn dann und sagen, Papa sei auf einer langen Reise, komme bald wieder und bringe ihm ein Steckenpferd mit. Soll ich Esther aufwecken, oder bleibst du sowieso bis morgen hier?«
    »Wecke sie nicht auf. Sie braucht doch ihren Schlaf.« Lea sah ihm forschend ins Gesicht. »Du brauchst ihn auch, Simon. Diese häßlichen dunklen Ringe um die Augen gefallen mir gar nicht. Hast du Kummer? Oder läßt dich die Freude nicht mehr schlafen? Die letzten Tage übertrafen ja wirklich alles, was du bisher mit Jesus erlebt hast. Diese wunderbare Brotvermehrung — da muß sogar eine Alte wie ich dem Andreas beipflichten: der helle Wahn, der helle Wahn! Nur eins ärgert mich: daß es wieder heißt, fünftausend Männer seien es gewesen. Und die fünftausend Frauen? Kein Wort davon. Typisch für eure Männergesellschaft. Aber das wird Jesus auch noch ändern, verlaß dich drauf. Du mußt mir noch genau erzählen, wie das alles vor sich gegangen ist. Du hast also ein Stück Brot genommen, genauso wie ich jetzt, hast dem Erstbesten ein Stück davon abgebrochen, dann dem zweiten und dem dritten, und auf einmal merkst du, daß das Stück Brot gar nicht kleiner wird. Was hast du dir dabei gedacht? Oder war gar keine Zeit zum Nachdenken? Dir streckten sich Hunderte von Händen entgegen, und du teiltest aus, jedem, der davon wollte. Und zwölf Körbe blieben übrig. Kaum zu fassen. Bei diesem Jesus scheint doch nichts unmöglich. Die tollsten Gerüchte schwirren durch die Dörfer. Wenn man alles für bare Münze nehmen wollte, müßten die Ufer von Betsaida bis Tiberias mit weggeworfenen Krücken übersät und sämtliche Ärzte arbeitslos sein. Du, der

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