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Zwölf im Netz

Zwölf im Netz

Titel: Zwölf im Netz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adalbert Seipolt
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bangte schon, er würde das erste Objekt meiner Heilkunststücke sein, doch Levi rappelte sich wieder auf, bereits um einige Pfunde erleichtert. Im nächsten Ort war Wochenmarkt. Die Leute gerieten ganz aus dem Häuschen bei unserem Anblick. Ein Bilderbuchbürokrat mit Spitzbauch und Glatze und eine zaundürre Bohnenstange wie ich. Als ob uns Jesus nach dem Gesichtspunkt komischer Wirkung zusammengespannt hätte. Ich genierte mich sehr, Levi kaum. Zöllner sind Spott gewöhnt. Kaufen wir was, riet ich ihm, dann merken sie, daß wir stinknormale Menschen sind. Kaufen? fragte er zurück, womit denn, lieber Thomas? Ich wurde ärgerlich: Sag bloß, du hast kein Geld bei dir, Oberzolleinnehmer! Keinen Pfennig, entgegnete er arglos, wie es der Meister bestimmt hat, verschafft euch weder Gold noch Silber noch Kupfermünzen. Ich stöhnte: Und ich Narr habe geglaubt, eine Finanzhyäne wie du versäumt nie, einen Notgroschen einzustecken. Als er meinen Jammer sah, meinte er wie zur Entschuldigung: Ich bin gewohnt, den Buchstaben des Gesetzes zu beobachten, ganz gleich, wer es erläßt. Diese Naivität machte mich noch wütender: Paß nächstens besser auf. Der Meister sagt, auf den Geist des Gesetzes kommt es an, kapiert? auf den Geist! — Und der nimmt es wohl nicht wörtlich? fragte er zurück. Da gab ich es auf. Mir lag schon ein derbes Schimpfwort auf der Zunge, ich schluckte es aber hinunter.«
    »Na, siehst du, Selbstbeherrschung lohnt sich. Da hast du also doch noch was zum Beißen gekriegt«, warf Philipp ein, »sonst hättest du notfalls Levi selber fressen müssen — vor Wut.«
    »Nahe daran war ich«, gestand Thomas und lachte, »zum Glück konnte ich meine Reisetasche versetzen.«
    »Hört, hört!« warf Andreas spöttisch ein, »der noble Herr trug eine Reisetasche bei sich. Hatte sie uns der Meister nicht ebenso untersagt wie die Schuhe? Doch tröste dich, Natanael, unser feinsinniger Interpret, verstand sorgfältig zwischen Schuhen und Sandalen zu unterscheiden. Aber das nimmt ihm keiner übel. Jeder von uns kennt seine zarten und empfindsamen Füße.«
    Alle lachten.
    Thomas fuhr fort zu erzählen. »Schuhe. Das erinnert mich wieder an Levi. Der nahm das natürlich wieder wörtlich, obwohl er früher höchstens vom Bett aufs Klo und wieder zurück barfuß gelaufen ist. Am zweiten Abend waren seine Fußsohlen ein einziger Blasenteppich. Übrigens ging es seiner Kehle nicht besser, total überanstrengt, heiser wie ein Hengst. Zum Glück regenerierte er sich unglaublich schnell — über Nacht.«
    »Wahrscheinlich kreist das Blut in den kleinen Leuten schneller, Thomas; bis bei dir ein frischer Blutstoß aus dem Herzen das Gehirn erreicht, dauert's eben länger«, sagte Andreas.
    »Ich glaub's bald selber. Mein Levi war das reinste Stehaufmännchen. Was der geleistet hat, Tag für Tag. Ich dachte, der könne nur addieren und subtrahieren und war überrascht, wie viele Register der Rhetoriker ziehen kann, wie bildhaft und treffend er sich ausdrückt und wie mutig er die kitzligen Probleme anpackt. Die Leute hörten erst belustigt, dann aufmerksam und schließlich hellauf begeistert zu und liefen ins nächste Dorf voraus, um es zu alarmieren. Und alles wartete auf unseren Levi.«
    »Jaja, das einnehmende Wesen der Zöllner«, faßte Thaddäus das Ganze zusammen. Dafür hattest du wohl mehr Erfolg im Heilen, wie? Bei uns herrschte eine ähnliche Arbeitsteilung, ich übernahm das Reden, Simon das Tun.«
    »Das kann ich von uns beiden nicht behaupten. Levi beherrschte beides exzellent, das Reich Gottes zu verkünden und die Kranken zu heilen. Ich versagte auf der ganzen Linie.«
    »Die Leute vertrauen den Rundlichen immer mehr als den Hageren, Thomas, gräme dich nicht«, versuchte ihn Thaddäus zu trösten.
    »Rundlich? Was meinst du, wie geschwind Levis Speck dahinschmolz? Nach einer Woche schlotterte ihm die Hose um den Bauch. Natürlich weigerte er sich, eine neue zu erbetteln; denn zwei Gewänder durften wir nicht mitnehmen auf den Weg, hatte der Meister angeordnet. So schnürte er die Hose mit einem Kälberstrick zusammen.«
    »Wir müssen Levi lassen, wie er ist. Im Reiche Gottes ist für jeden Kauz Platz.«
    »Kauz, warum Kauz? Er ist der prächtigste Kamerad, den du dir denken kannst.«
    »Das klang vorher aber anders.«
    »Ich ahnte es auch nicht; doch zeigte es sich jeden Tag deutlicher. Ich kam mir bald hoffnungslos überrundet vor. Im Laufen hielt er immer besser mit, obwohl er doch doppelt so viele

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