Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zwölf im Netz

Zwölf im Netz

Titel: Zwölf im Netz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adalbert Seipolt
Vom Netzwerk:
Philipp?«
    »Lernen kann man von allen — auch von den Römern. Ich hoffe, daß unser lieber Zelot mich deshalb nicht in die Hölle wünscht. Die Römer handeln nach einer klugen Maxime: Divide et impera.«
    »Gib nicht so an mit deinen paar lateinischen Brocken«, knurrte der Zelot, »sag lieber, was es heißt.«
    »Teile und herrsche. Mit dieser Taktik haben sie ihr Weltreich gegründet. Das sollte man beherzigen. Nutzen sie nicht auch geschickt die Uneinigkeit unter uns Juden aus? Pilatus ist ein Meister dieser Taktik.«
    »Und was soll dieser Exkurs?« fragte Andreas ungeduldig. »Uns lehren, fein zu unterscheiden und nicht mit Pauschalurteilen herumzuwerfen«, antwortete Natanael für seinen Freund, der ihn verblüfft ansah, weil er eigentlich eine andere Schlußfolgerung ziehen wollte.
    »Fein unterscheiden«, brauste Andreas auf. »Bei diesen Kleinlichkeitskrämern? Die entrüsten sich schon, wenn wir am Sabbat Ähren rupfen. Und drohen ihn anzuzeigen, wenn er am Sabbat Kranke heilt. Und bezichtigen ihn, mit dem Teufel im Bunde zu stehen. Er hat vollkommen recht, sie Schlangenbrut und Natterngezücht zu nennen, und daß sie blinde Führer von Blinden seien, Mücken aussieben, aber Kamele verschlucken, und daß das Blut aller Unschuldigen über sie kommen wird. Wenn er sie leidenschaftlich und zornig anfährt, dann juckt es mich in den Fäusten, und ich sehne mich danach, diesen miesen Heuchlern die Visage zu polieren. Geht es euch nicht ebenso, Freunde?«
    Die meisten stimmten zu, allen voran Simon Petrus.
    Doch Thomas ließ nicht locker: »O ihr Sanftmütigen und Friedfertigen, wie gedenkt ihr euch ums Gebot der Feindesliebe herumzudrücken? Seid barmherzig! Richtet nicht! Das paßt mit euren heißen Wünschen schlecht zusammen.«
    »Verdammt noch mal, warum nicht richten, was zu richten ist, und anzünden, was ins Feuer gehört?« entgegnete Andreas so hitzig, daß sein Bruder einschreiten mußte. »Thomas' Einwand kannst du nicht einfach empört wegpusten, Andreas. Die Feindesliebe bleibt ein schwer verdaulicher Brocken. Für meine Verfolger beten, das schaffe ich noch, wenn ich meinem Herzen einen Stoß gebe. Aber dem, der mich auf die linke Backe schlägt, auch noch die rechte anbieten...«
    »Gestatte, andersherum. Die rechte zuerst«, korrigierte ihn Natanael.
    »Du bist vielleicht ein Pedant.«
    »Richtig zitieren, richtig interpretieren — alte philologische Hausregel«, erklärte Natanael mit erhobenem Zeigefinger. Alle lachten.
    »Auf deine Interpretationen warten wir ja schon mit Spannung«, sagte Simon Petrus. »Aber weiter. Wo war ich stehengeblieben? Bei der Backe. Ja, und dann die Sache mit dem Rock. Wenn uns jemand den wegnehmen will, sollen wir ihm noch den Mantel überlassen. Ehrlich, Männer, seid ihr dazu bereit?«
    Da nickte keiner, nur der kurze Jakob. Der besaß gar keinen Mantel, dafür ein Paar Stiefel; aber die hatte Jesus nicht erwähnt.
    Jetzt mischte sich Philipp ein: »Ja, und das Auge ausreißen, wenn es uns Anlaß zur Sünde wird. Da hört sich alles Flirten auf. Einer fremden Frau zublinzeln, gilt als halber Seitensprung, und ihr die Brust zu tätscheln als ganzer Ehebruch. Freunde, wenn das stimmt, bleib ich ledig.«
    »Dummkopf«, zischte ihm Natanael ins Ohr.
    »Sag das nicht noch einmal«, drohte Philipp schelmisch, »sonst bist du dem höllischen Feuer verfallen. Das hat der Meister für dein Schimpfwort angedroht.«
    Einige lachten, aber nicht ohne sich vorher zu vergewissern, ob der Meister nicht doch schon aufgewacht sei. Er war es nicht. Aber der junge Johannes, der bisher mit wachsender Verwunderung dem Wortwechsel zugehört hatte, konnte sich nicht mehr beherrschen, sondern sprach voller Zorn, seine Stimme mühsam bändigend, um Jesus nicht aufzuwecken: »Wie tapfer, wie heldenhaft, sich über Worte des Meisters lustig zu machen, wenn er sich nicht verteidigen kann.«
    »Dafür bist du da«, sagte Thomas, »außerdem macht sich niemand lustig darüber. Wir stellten nur fest, wie ungewöhnlich und befremdlich sie sind.«
    »So, und Philipps dummes Witzeln?«
    »Das war kein dummes Witzeln«, verteidigte sich der Angegriffene, »sondern lediglich eine persönliche Bemerkung zu einer verdammt schweren Forderung des Meisters.« Johannes fuhr fort: »Ihr seid genauso kleinlich wie die Pharisäer, genauso beschränkt wie die Schriftgelehrten. Ich gebe zu, auf den ersten Blick scheint vieles, was Jesus von uns fordert, unerfüllbar. Es geht uns gegen den Strich, nicht

Weitere Kostenlose Bücher