Zwölf Jahre Ein Sklave: 12 Years a Slave (Gesamtausgabe) (German Edition)
ich ihn am Leben, würde mein Leben nur seinen Rachedurst stillen. Eine Stimme flüsterte mir zu, zu fliehen. Ein Wanderer in den Sümpfen zu sein, ein Flüchtling und Vagabund auf dem Gesicht der Erde, war dem Leben vorzuziehen, das ich sonst führen würde,
Mein Entschluss war schnell gefasst. Ich schleuderte ihn von der Werkbank zu Boden, sprang über einen nahe stehenden Zaun und eilte an den Sklaven auf den Baumwollfeldern vorbei durch die Plantage. Nach rund 500 Metern, für die ich nur wenig Zeit benötigte, hatte ich den Hutewald erreicht. Dort stieg ich auf einen hohen Zaun und konnte die Baumwollpresse, das "große Haus" und die dazwischen liegende Fläche sehen.
Es war eine auffällige Position, von der aus ich die gesamte Plantage überblicken konnte. Ich sah wie Tibeats das Feld in Richtung Haus überquerte und hinein ging – dann kam er mit seinem Sattel wieder heraus, bestieg sein Pferd und war im nächsten Moment davon galoppiert.
Ich war untröstlich, aber dankbar. Dankbar dafür, dass mein Leben verschont geblieben war; untröstlich und entmutigt ob der Aussichten, die vor mir lagen. Was würde aus mir werden? Wer würde mir behilflich sein? Wohin sollte ich fliehen? Oh Gott! Du, der du mir Leben gabst und in meiner Brust die Liebe für das Leben verankert hast, der mein Herz mit den gleichen Gefühlen wie andere Menschen, deine Geschöpfe, gefüllt hast, lass mich nicht allein. Hab Mitleid mit dem armen Sklaven – lass mich nicht dahinscheiden. Wenn du mich nicht beschützest bin ich verloren – verloren! Solche stillen und unausgesprochenen Bittgesuche sandte mein tiefstes Herz gen Himmel. Aber da war keine antwortende Stimme – kein süßer, tiefer Klang, der von ganz weit oben meiner Seele zuflüstert: "Ich bin es, hab keine Angst." Ich war von Gott verlassen worden, so schien es – der am meisten Verachtete und Gehasste unter allen Menschen!
Nach etwa fünfundvierzig Minuten schrien einige der Sklaven und gaben mir Zeichen, zu rennen. In diesem Moment sah ich Tibeats und zwei andere Reiter in schneller Gangart das Bayou heraufkommen. Hinter ihnen rannten schätzungsweise acht oder zehn Hunde. Obwohl ich weit weg war erkannte ich sie. Sie gehörten der benachbarten Plantage. Die Hunde, die am Bayou Boeuf zur Sklavenjagd benutzt wurden waren Bluthunde, aber eine sehr viel bissigere Rasse als in den Nordstaaten. Sie griffen auf Geheiß ihres Herrn einen Neger an und verbissen sich in ihn wie eine Bulldogge sich in einen Vierbeiner verbeißt. Man konnte oft ihr lautes Bellen in den Sümpfen hören. Dann wurde immer vermutet, an welchem Punkt der Flüchtling wohl eingeholt werden würde – genau wie in New York, wo die Jäger ihren Hunden beim Durchkämmen eines Waldes zusehen und dann darüber diskutieren, an welchem Punkt der Fuchs in der Falle sitzen wird. Ich habe nie erlebt, dass ein Sklave aus dem Bayou Boeuf lebend entkommen ist. Ein Grund dafür ist, dass Sklaven nicht die Kunst des Schwimmens erlernen dürfen und selbst den kleinsten Wasserlauf nicht durchqueren können. Auf der Flucht kommen sie bestenfalls bis zum nächsten Altwasser; dann haben sie die unvermeidbare Wahl zwischen Ertrinken oder von den Hunden zerfleischt zu werden. Ich hingegen habe in meiner Jugend in den klaren Flüssen meiner Heimat viel geübt. Ich war ein exzellenter Schwimmer und fühlte mich wohl im nassen Element.
Ich stand auf dem Zaun bis die Hunde die Baumwollpresse erreicht hatten. Eine Sekunde später verkündete ihr wildes Gekläffe, dass sie meine Spur aufgenommen hatten. Ich sprang herunter und rannte zu den Sümpfen. Die Angst gab mir Kraft und ich rannte, so schnell ich konnte. Alle paar Sekunden hörte ich das Japsen der Hunde. Sie holten auf. Jedes Heulen war näher als das Vorherige. Ich erwartete, dass sie mir jeden Moment auf den Rücken springen würden, dass ihre langen Zähne in mein Fleisch sinken würden. Es waren so viele. Ich wusste, sie würden mich in Stücke reißen, zu Tode beißen. Ich schnappte nach Atem und schickte gleichzeitig ein halb ersticktes Gebet an den Allmächtigen; möge er mich retten, möge er mir die Kraft geben, ein großes und weites Sumpfgebiet zu erreichen wo ich die Hunde abschütteln oder im Wasser verschwinden könnte. In diesem Moment erreichte ich einen großen Bestand mit Palmettopalmen. Sie knisterten laut, als ich die Flucht fortsetzte. Dennoch war das Geräusch nicht laut genug, um die Stimmen der Hunde zu übertönen.
Ich
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