Zwölf Jahre Ein Sklave: 12 Years a Slave (Gesamtausgabe) (German Edition)
Klima zurückzuführen sei und es durchaus möglich wäre, dass er mich verliert. Ich wurde angewiesen, kein Fleisch zu essen und nicht mehr Nahrung zu mir zu nehmen als die, die zur Lebenserhaltung absolut notwendig sei. Es vergingen mehrere Wochen, während denen ich mit Hilfe der kärglichen Diät, die ich zu mir nehmen musste, teilweise gesundete. Eines Morgens, lange bevor ich in einer akzeptablen Arbeitsverfassung war, erschien Epps in meiner Hütte und brachte mir einen Sack, mit dem ich aufs Baumwollfeld sollte. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich keinerlei Erfahrung mit dem Pflücken von Baumwolle. Es war ein schwieriges Unterfangen, meine Güte. Während andere mit beiden Händen und mit einer mir unverständlichen Präzision und Fingerfertigkeit die Baumwolle rupften und in ihrem Sack deponierten, musste ich die Samenkapsel mit einer Hand festhalten und mit der anderen bedachtsam die weiße, herausquellende Blüte sammeln.
Die Baumwolle im Sack zu verstauen war außerdem eine Schwierigkeit, die eine gehörige Koordination von Hand und Auge verlangte. Ich musste sie mindestens genau so oft vom Boden aufheben, wo sie hingefallen war, wie vom Halm pflücken, wo sie gewachsen ist. Ich richtete auch unter den mit noch geschlossenen Samenkapseln behängten Zweigen große Verwüstung an; der hinderliche Sack schwang auf meinem Rücken in einer Art und Weise hin und her, die im Baumwollfeld überhaupt nicht geht. Nach einem sehr beschwerlichen Tag kam ich mit meiner Ladung an der Wiegestelle an. Als die Waage nicht mal vierzig Kilogramm anzeigte, nicht mal die Hälfte der Menge, die auch der schlechteste Pflücker bringen musste, drohte mir Epps die härteste Auspeitschung an – beschloss aber dann, mich zu begnadigen, da ich ja noch "eine ungelernte Kraft" war. Auch am nächsten Tag und noch viele Tage darauf kam ich des Abends mit gleichbleibendem Ergebnis zur Wiegestelle. Offensichtlich war ich für diese Art Arbeit nicht geeignet. Ich hatte nicht das Talent, nicht die wieselflinken Finger und die schnellen Bewegungen, mit denen Patsey sozusagen im Vorbeiflug und mit irrem Tempo die reine und flauschige weiße Baumwollpracht erntete. Jedes Üben und auch die Peitsche waren vergeblich und Epps, dem es irgendwann reichte, fluchte dass ich eine Schande sei – dass mich nichts mit den Fähigkeiten eines "Baumwollniggers" verbinden würde – dass ich an einem Tag nicht mal soviel pflücken würde, um das Wiegen bezahlen zu können und dass er mich nicht mehr aufs Baumwollfeld schicken würde. Nun durfte ich Holz schlagen und schleppen, die Baumwolle vom Feld zur Wiegestelle ziehen oder andere Arbeiten verrichten. Es versteht sich von selbst, dass ich nie untätig sein durfte.
Selten ging ein Tag zur Neige, ohne dass ein oder mehr Sklaven ausgepeitscht wurden. Dies geschah meist beim Wiegen der Baumwolle. Der Delinquent, der zu wenig eingesammelt hatte, wurde herausgebracht, ausgezogen und musste mit dem Gesicht nach unten auf den Boden liegen. Dann erhielt er eine dem Vergehen angemessene Strafe. Es ist die ungeschminkte und reine Wahrheit, dass man während der Baumwollernte auf Epps Plantage das Singen der Peitsche und das Kreischen der Sklaven den ganzen Tag, von morgens bis abends, hören konnte.
Die Anzahl der Peitschenhiebe errechnet sich aus der Schwere des Vergehens. Fünfundzwanzig sind so gut wie nichts und werden schon verhängt, wenn ein trockenes Blatt oder eine Samenkapsel in der Baumwolle gefunden wird, oder wenn ein Zweig abgebrochen worden ist; fünfzig ist die normale Menge für alle Vergehen darüberhinaus; hundert zu bekommen ist eine ernste Angelegenheit – die erhält man, wenn man untätig im Feld herumsteht. Hundertundfünfzig bis zweihundert bekommt der, der mit seinen Hüttengenossen streitet und fünfhundert sollen dem Flüchtling wochenlange Schmerzen und Qualen bereiten.
Während seiner zwei Jahre auf der Plantage am Bayou Huff Power hatte Epps die Angewohnheit, mindestens einmal in vierzehn Tagen betrunken aus Holmesville zurückzukehren. Die Schießwettbewerbe resultierten fast immer in einem Saufgelage. Dann war er unbändig und fast wahnsinnig. Oft zerstörte er Geschirr, Stühle oder was immer ihm in die Hände fiel. Nachdem er sich im Haus amüsiert hatte, holte er die Peitsche und ging in den Hof. Dann mussten die Sklaven sehr vorsichtig und wachsam sein. Der erste, der in seiner Nähe auftauchte, bekam die Peitsche zu spüren. Manchmal ließ er sie stundenlang
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