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Zwoelf Schritte

Zwoelf Schritte

Titel: Zwoelf Schritte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lilja Sigurdardóttir
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geräuchertem Lammfleisch und zwei gerollte Pfannkuchen mit Zucker. Wir setzen uns an einen Tisch. Beim Essen spüre ich eine tiefe Glückseligkeit, und einen Augenblick lang gebe ich mich dem Tagtraum hin, dass wir immer noch ein Paar sind und auf dem Weg in den Skiurlaub eine Pause eingelegt haben. Iðunn zerstört meine Stimmung, indem sie Überlegungen zu dem Mord anstellt.
    «Wir müssen abklären, was für Bekannte Bjarni Jóhannes hatte», sagt sie. «Zum Beispiel, ob er irgendwelche Verbindungen zu Atli Eyjólfsson hatte, und wenn ja, müssen wir diesen Kerl nochmals treffen.» Bei dem Namen Atli Eyjólfsson läuft mir ein Schauer über den Rücken. Möglicherweise bin ich derart feinfühlig, dass ich die kriminellen Neigungen von Menschen spüren kann, oder vielleicht ist es auch einfach persönliche Antipathie.
    «Ihre Wege könnten sich auf verschiedenen Meetings gekreuzt haben», sage ich und nehme den letzten Schluck Kakao. Eigentlich habe ich Lust auf mehr. Der Polizist im Overall kommt herein und verkündet, dass der Schneepflug gekommen sei. Die Autos reihen sich hinter dem Pflug auf. Ganz hinten steht ein Polizeiwagen, der uns begleitet. Dann setzt sich der Tross in Bewegung. Das Schneetreiben ist so dicht, dass es zuweilen schwierig ist, die Rücklichter des vorderen Wagens auszumachen. Der Fahrer des Schneepfluges muss über einen Röntgenblick verfügen. Ich habe nicht auf die Uhr geschaut, als wir losgefahren sind, doch die Fahrt über die Hochebene dauert eine halbe Ewigkeit. Ich verliere jegliches Gefühl, ob wir hinauf- oder hinunterfahren, und zum Schluss übermannt mich eine heftige Müdigkeit, dass ich die Augen kaum offen halten kann. Iðunn nimmt unterwegs ein paar Anrufe entgegen, während ich die Augen einen Moment schließe und zwischen Wachen und Schlafen schwebe. Ich schrecke hoch, als sie laut «Na, also» sagt. Wir haben das Ende der Hochebene erreicht. Unten sind die Lichter von Hveragerði zu sehen, und wir lassen das Schneegestöber hinter uns. Beim Kreisel steht ein zweiter Polizeiwagen mit einer Reihe von Autos hinter sich, der Schneepflug dreht und führt einen neuen Tross wieder zurück über die Hochebene. Wir dagegen fahren durch Hveragerði, und ich betrachte die orangefarbenen Lichter der Treibhäuser mit Wehmut, bevor wir in die große Dunkelheit der flachen Ebene eintauchen.
    Ich wundere mich immer wieder, wenn ich nach Selfoss komme, wie sehr der Ort doch einer kleinen Stadt ähnelt. Nur wenige Ortschaften auf dem Land verfügen über eine konstruierte Stadtanlage mit einer breiten Durchfahrtsstraße, von der kleine Wohnstraßen abzweigen, in denen jedes Haus über einen großen Garten verfügt. Wahrscheinlich kann sich die Stadt aufgrund dieser Südlandebene so sehr ausbreiten.
    Iðunn unterhält sich mit der Empfangsdame der Polizeiwache, während ich im Eingangsbereich herumlungere und die lebensgroße Wachsfigur eines Polizeibeamten in Sonntagsuniform und alte Fotos vom Alltagsleben der Polizei betrachte. Auf den Schwarz-Weiß-Bildern stehen die Polizeibeamten stolz mit Mütze und gestärkter Uniform, an die ich mich noch aus meiner Kindheit erinnern kann, auf der Treppe vor der Wache. Ihre Arbeit damals unterschied sich wahrscheinlich in vielerlei Hinsicht von dem, womit Iðunn sich heutzutage herumschlagen muss. Sie mussten bestimmt nicht das Schicksal eines Mannes klären, der zu Hause in seinem Wohnzimmer gekreuzigt worden ist.
    «Du musst hier warten, weil du nicht bei der Polizei bist», meint Iðunn mit einem ironischen Lächeln.
    «Okay.» Ich schaue ihr nach, wie sie in Begleitung eines Polizeibeamten durch die Tür geht, der ihr die alten Protokolle über Bjarni Jóhannes zeigen soll.
     
    Ich schrecke hoch, als Iðunn wider Erwarten schon nach kurzer Zeit mit einer Kopie in der Hand herausgestürmt kommt. Sie hält sie so fest umklammert, dass sie an den Kanten schon ganz zerdrückt ist. Hastig wirft sie mir den Autoschlüssel zu.
    «Du fährst!»
    Während ich ihr hinterherlaufe, winke und lächle ich der Empfangsdame zu und bedanke mich für den Kaffee im Pappbecher, den sie mir gebracht hat. Iðunn sitzt bereits im Wagen, und ich beeile mich, den Sicherheitsgurt festzuschnallen und den Motor zu starten.
    «Was ist los, Iðunn?»
    «Bjarni Jóhannes hat das Kind in der Badewanne ertränkt.»
    Es dauert einen Moment, bis die Information in mich hineingesickert ist, doch als Iðunn anfängt, verschiedene Telefongespräche zu führen, begreife ich

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