Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zwoelf Schritte

Zwoelf Schritte

Titel: Zwoelf Schritte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lilja Sigurdardóttir
Vom Netzwerk:
Morphium-Überdosis.»
    «Hat er das Zeug genommen?»
    «Nein, es ist ihm offensichtlich gespritzt worden, wahrscheinlich nach einem kräftigen Schlag ins Genick, der zur Bewusstlosigkeit führte. Jedenfalls weist die Beule an seinem Hinterkopf darauf hin.» Iðunn greift nach einer Nahaufnahme, auf der durch das dunkle Haar eine große Schwellung am Kopf zu erkennen ist. «Als er gefunden wurde, schloss der Arzt aus der Totenstarre, dass er schon seit vierundzwanzig Stunden tot sein musste. Das bedeutet, dass er an einem anderen Ort in diese Stellung gebracht worden ist und der Mörder wartete, bis er steif war. Dann hat er ihn in die Krankenhauskapelle geschafft.»
    «Wie habt ihr herausgefunden, dass er AA -Mitglied ist?»
    «Die Drei-Jahres-Medaille in der Hosentasche, das klassische Verzeichnis mit den Meetings im Geldbeutel und das hier», sagt Iðunn und reicht mir eine Visitenkarte mit dem Logo der Gruppe in der Hverfisgata und dem Satz:
Wir waren völlig bereit, all diese Charakterfehler von Gott heilen zu lassen.
«Keine Fingerabdrücke darauf außer seinen eigenen und überhaupt keine auf der Karte», fügt Iðunn hinzu, «als ob sie in seine Hosentasche geraten wäre, ohne dass sie jemand berührt hätte.»
    «Handschuhe?», sage ich.
    «Das soll ein Symbol für etwas sein», sagt Iðunn.
    Ich spiele mit der Karte in dem Plastiktütchen herum, während ich mir den Satz durchlese.
    «Glaube und Heilung», sage ich mehr zu mir selbst.
    «Was sagst du?» Iðunn zuckt zusammen.
    «Auf der Karte steht, dass Gott alle Fehler heilen werde, und die Leiche wurde in der Krankenhauskapelle gefunden. An einem Ort, der Heilung und Glauben vereint.»
    «Das stimmt.» Iðunn nimmt mir die Karte aus der Hand und überlegt. «Das In-Szene-Setzen der Leichen hat irgendeine Bedeutung. Bloß gut, dass der Profiler bereits in Island eingetroffen ist.»
    «Wer ist dieser Profiler?», frage ich und sortiere die Fotos auf dem Tisch zu einem Stapel.
    «Sie läuft hier bei uns unter dem Namen Madam Klaps und ist eine der besten Spezialistinnen der nordischen Länder, um die Symbolik solcher Morde zu entschlüsseln und uns zu sagen, nach welcher Art von Mörder wir suchen.»
    «So eine Art psychologische Analyse?»
    «Ja, eine kriminologisch-psychologische Analyse, die sehr hilfreich sein kann. Die Frau hat uns schon einmal bei einem Fall geholfen, sie wird nur im Notfall hinzugezogen. Das ist eine total durchgeknallte, aber ziemlich großartige Hexe.»
    «Ihr seid also zu dem Ergebnis gekommen, dass es sich immer um denselben Täter handelt?»
    «Das ist, denke ich, inzwischen völlig klar: Schlageinwirkung im Nacken, und allen wurden Medikamente verabreicht. Morphium ist leicht nachzuweisen, aber Sachen wie Rohypnol, das Menschen außer Gefecht setzt, verflüchtigen sich schnell. Bjarni Jóhannes hatte Einstiche zwischen den Zehen, aber es wurde nur eine winzige Menge eines morphiumähnlichen Präparats nachgewiesen. Bei Jón Ágúst wurden keine Einstiche gefunden, aber er wurde bewusstlos geschlagen und gefesselt, sodass ihm der Mörder vielleicht nichts einflößen musste.»
    «Habt ihr Aðalsteinn noch einmal untersucht?»
    «Man hat ihn noch einmal auf Medikamente getestet, und es kam dasselbe heraus wie beim letzten Mal. Spuren eines morphiumähnlichen Stoffes und eine hohe Alkoholmenge im Blut. Ich bin noch einmal den Obduktionsbericht durchgegangen, habe aber nichts Ungewöhnliches gefunden. Keine äußeren Einwirkungen.» Iðunn reicht mir den Bericht in einem braunen Umschlag, beschriftet mit Aðalsteinns Namen, aber als ich ihn öffne, fahre ich zusammen. Es ist anders, die Leichenfotos von jemandem zu sehen, den man gekannt hat. Auf dem Foto liegt Aðalsteinn zusammengekauert unter einem Busch, dessen Zweige ein Polizist zur Seite hält, damit man die Leiche sieht. Er trägt eine Jeans und einen Wollpulli mit Zopfmuster. Es versetzt mir einen Stich ins Herz. Seine Mutter hat den Pulli gestrickt. Ich habe seine Mutter einmal auf einem Geburtstag von Egill getroffen. Sie saß da, strickte und behielt uns im Auge, sagte aber wenig. Das nächste Bild ist aus größerer Entfernung aufgenommen, sodass man die Umgebung erkennt, und plötzlich weiß ich, welcher Busch es ist. Er ist riesig und rund, wird offensichtlich jeden Sommer in Form gebracht und steht ungefähr fünfzig Meter vom Kunstmuseum Kjarvalsstaðir entfernt im Park Miklatún. Ein Fußweg führt unweit daran vorbei, den ich auch schon oft entlanggegangen bin.

Weitere Kostenlose Bücher