Zwölf um ein Bett
anfinge.«
»Elisabeth weint nie.«
»Und wie sie weint. Einmal hat sie wie ein Schloßhund geweint, als ich in ihrem Zimmer schlief. Es ist schon lange her — als das Mädchen hier war, das immerzu Zigaretten rauchte und >verflucht< sagte; dabei dürfen David und ich das doch nicht sagen.«
»Worüber hat sie denn geweint?«
»Sie wollte es mir nicht sagen. Ich wollte ihr ein Stück Schokolade schenken, aber sie wollte es nicht nehmen, darum glaube ich, sie hatte Bauchschmerzen. Das genügt doch, um zu weinen, nicht wahr, Onkel Ollie?«
»Bestimmt. Oh, guten Abend, Süße. Gott, ist es schon Zeit für >drinks Ich habe sie noch gar nicht gemixt.« Er rollte sich durch das Zimmer zum Cocktail-Tisch. Evelyn kam gelassen hinter ihm her mit Becher und Teller und Löffel in der Hand. »Gute Nacht, Onkel Ollie«, sagte sie.
»Bring mir ein wenig Eis, ehe du ins Bett gehst, sei so nett, ja?«
»Okay. Drück mir den Daumen für morgen.«
»Kannst du wetten.« Evelyn ging hinaus, anscheinend ohne bemerkt zu haben, daß ihre Stiefmutter im Zimmer war. »Was ist denn morgen los?« fragte die Süße katzenfreundlich und bediente sich mit Olivers Zigaretten.
»Das weißt du doch ganz genau. Die Veranstaltung vom Pony-Klub. Es ist ihr Ehrgeiz, sich den Sieg im Springen zu holen. Ich glaube auch, sie wird’s schaffen«, fuhr er eifrig fort; er wandte der Süßen den Rücken zu und vergaß gänzlich, zu wem er sprach. »Dies Pony mag nur ein kleiner Bursche sein, aber für einen >Esmoor< springt er erstaunlich gut. Er besitzt diese ungewöhnliche Länge zwischen Kniegelenk und Hachsen, weißt du; ich nehme an, daran liegt es. Es war sehr tüchtig von Vi, ihn in diesem Alter auszusuchen. Evie hat harte Arbeit mit ihm geleistet, aber dafür auch Wunder an ihm vollbracht. Sie hat mehr Geduld mit Pferden als die meisten Erwachsenen. Wenn sie ihn morgen nur davon zurückhalten kann, nach rechts auszubrechen. Er nimmt dann seinen Kopf herunter und zerrt am Zaum, und sie ist natürlich nicht kräftig genug, um ihn wieder hochzureißen. Ach, entschuldige bitte«, sagte er, als die Süße unterdrückt gähnte, »ich habe laut gedacht; ich wollte dich nicht damit langweilen.«
»Sie ist zu versessen auf Pferde, dies Kind«, sagte die Süße heftig. »Sie denkt an nichts anderes und spricht von nichts anderem. Höchste Zeit, daß ihr Zivilisation beigebracht wird, ehrlich gesagt. Man muß ihr erst einmal das Stroh aus dem Munde nehmen und Manieren beibringen, sonst werden meine Freunde denken, ich bemuttere eine Schwachsinnige.«
»Armes kleines Mädchen«, sagte Oliver hart, »wenn du aus ihr eine gequälte kleine Drahtpuppe machen willst, wie man sie im Film sieht.«
»Sei nicht albern, Ollie.« Sie sagte »Oor-lie« mit einem streichelnden Dehnen. »Ich meine nur, sie müßte etwas verbindlicher werden. Du bist selbst nicht sehr verbindlich, nicht wahr?« Ihre Stimme war leise, aber an den Schauern in seinem Rücken fühlte er, wie sie näher kam. Viel zu nahe. »Du magst mich nicht sehr, nicht wahr?« murmelte sie, so dicht, daß er ihren Duft einatmen konnte.
»Nicht sehr«, sagte er brüsk und schüttelte angelegentlich den Cocktailshaker.
»Nun, das ist sehr schade, weil ich dich nämlich sehr gern habe.« Sie ging an seinem Stuhl vorbei, wobei sie seine Schulter mit den Fingerspitzen streifte, und lehnte sich in einer Mannequinhaltung an den Tisch, Bauch herein, Becken vorgedrückt. »Ich glaube, du bist ein ganz komischer Kauz«, sagte sie mit der Freimütigkeit eines College-Girls, die nicht ganz zu den Rillen zwischen Nase und Mundwinkel und ihrer verlebten Haut paßte. »Es ist zu schade, daß du mich die ganze Zeit hast links liegenlassen, weil ich weiß, wir haben sehr viel Gemeinsames. Ich kann dich sehr gut verstehen, siehst du, und zwar deshalb, weil ich als sehr junges Mädchen auch immer auf dem Rücken liegen mußte. Ich war so allein. Man besuchte mich natürlich, aber ich sehnte mich nach einem Menschen, mit dem ich mich unterhalten konnte — so ganz intim unterhalten konnte. Auch ich las Gedichte, genau wie du — Shelley, Keats, Siegfried Sassoon...«
Olivers bemächtigte sich eine Panik, und die Überlegung, daß Siegfried Sassoon kaum Gedichte geschrieben haben konnte, als die Süße noch ein junges Mädchen war, war sein letzter zusammenhängender Gedanke. Er hatte das Gefühl, als ob er ersticken müßte, und der Schweiß drohte ihm auszubrechen. Am liebsten hätte er einen Schrei ausgestoßen,
Weitere Kostenlose Bücher