Zwölf um ein Bett
stillen gesitteten Äußeren verbarg sich das Gemüt eines kleinen frechen Straßenjungen.
»Aber, Violet, wirklich «, sagte Mrs. North, »du bist...« sie war drauf und dran, »gefräßig« zu sagen, sagte aber dann bloß »gedankenlos«. Schlimm genug, eine Tochter zu haben, die sich in Gegenwart von Besuch kindisch benahm und sich nichts daraus machte, wie ein Kind behandelt zu werden. Um Violets Benehmen zu vertuschen, versuchte sie, einen Scherz daraus zu machen, und sagte lächelnd: »Ich nehme an, du konntest nicht vorher fragen, ob noch jemand etwas haben wollte, hm?«
»Dachte, ihr wär’t alle fertig«, sagte Violet und setzte die Soßenschüssel so hin, daß der Inhalt auf den Tisch schwabbte. »Ich war halb verhungert. Hab’ nicht gefrühstückt.«
»So kann man’s auch sagen«, meinte Heather, »ich hab’ dich in der Küche gesehen mit einer Riesenscheibe Brot und Milch von den Kindern und dem Honigtopf, und du stipptest gerade dein butterbeschmiertes Messer hinein.«
»Aber von Abwaschen hast du nichts gesehen«, hieb ihre Schwester zurück.
»Als ob du jemals etwas tätest«, sagte Heather bissig. David lachte kreischend und warf das Salz um. Er liebte solche Kabbeleien und fand sie herrlich. Oliver hatte diese Art der Unterhaltung seit seiner Kindheit tausendmal mitangehört; er fand es blöde. Er sah, wie Anne und Toby amüsierte Blicke wechselten. Fred guckte verlegen drein und räusperte sich, als wollte er etwas sagen, gab es dann aber auf, weil ihm nichts einfallen wollte. Als er sah, daß die immer noch vor sich hinbrabbelnde Heather die Teller abräumte, sprang er so plötzlich auf, daß sein Stuhl hintenüberfiel und beinahe das Baby geköpft hätte. Heather schrie auf, und die Messer rasselten von den Tellern in ihren Händen auf den Boden. Violets alter Labrador schob sich Zoll für Zoll von seinem Platz am Feuer zwischen Violets gespreizte Beine und leckte die Messer ab. Heather, die den Stuhl aufgehoben und Susan etwas weiter vom Tisch entfernt hatte, sah mit hochrotem Kopf aus ihrer knienden Stellung neben dem Korbe auf und ließ ihren Schreck, der sich in Ärger verwandelt hatte, an Fred aus. »Tut mir furchtbar leid, wirklich furchtbar leid«, stammelte dieser und bewegte sich ziellos um den Kreis, der sich um Susan gebildet hatte und sie mit irgendwelchen Mätzchen von ihrem Schrecken abzulenken versuchte. »Aber ich habe sie doch nicht getroffen, nicht wahr? Ist sie heil? Ja, da ist ja unser liebes kleines Mädchen!« Als er seine große Nase auf sie herabstieß, schrie sie noch lauter. Völlig verzweifelt zerrte er seine Armbanduhr vom Gelenk und hielt sie ihr ans Ohr, wie er das so bei anderen gesehen hatte. Heather stieß seine Hand zur Seite. »Das ist doch albern«, sagte sie, »dafür ist sie noch viel zu klein. Mir wäre lieber, Sie wären vorsichtiger gewesen, Fred, Sie hätten sie umbringen können. Sie sind ebenso ungeschickt wie Violet.«
»Ach, halt den Mund«, sagte Violet vom Tisch her, wo sie zurückgelehnt saß und mit der Zunge die letzten Essenreste aus den Zähnen pulte. Toby war aufgestanden, um zu helfen, aber Anne zupfte ihn am Ärmel und bedeutete ihm, sich zu setzen. »Sie wird sich auch nicht beruhigen, wenn sie Ihren schönen gelben Schlips sieht«, sagte sie, und er lachte sein hartes, ersticktes Lachen. Er fand sie amüsant. Sie unterhielten sich beide und warteten darauf, daß die Norths mit diesem Zwischenfall fertig werden und zum nächsten Gang übergehen würden. Dann erinnerte sich Anne an Oliver und kam an sein Bett, um zu sehen, wie es ihm ginge.
»Macht ein bißchen Kopfschmerzen, dies da, weißt du«, er deutete mit einer Kopfbewegung auf die Gruppe am Kamin. »Armer Liebling«, sagte sie vage, »das muß es ja.« Sie spielte Tonleitern auf seinem Ärmel, beobachtete dabei ihre Finger und blickte dann mit dem ihr eigenen, plötzlich aufkräuselnden Lächeln zu ihm auf: »Liebling, meintest du das im Ernst, als du vorhin vor dem Essen sagtest, du seist völlig glücklich?« Sie wollte sich Gewißheit verschaffen, daß sie alles getan hatte, was sie konnte, um ihre Pflicht, die sie hierhergetrieben hatte, zu erfüllen. Sie fühlte, daß sie zu leicht weggekommen war. Oliver lachte ihr zu, küßte ihr die Hand und schickte sie zu Toby zurück. Mrs. North sah diesen Handkuß und stand einen Augenblick in Gedanken versunken, wobei sie ihr Pincenez von einer Hand in die andere wandern ließ. Anne schien diesmal wirklich einen viel netteren
Weitere Kostenlose Bücher