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Zwölf um ein Bett

Zwölf um ein Bett

Titel: Zwölf um ein Bett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monica Dickens
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der unvermeidlichen Vertraulichkeit immer unverbindlich. Es war das erstemal, daß er eine Pflegerin hatte, der jedes unangenehme Getue fremd war, und doch ärgerte ihn ihre ablehnende Haltung gegenüber Dank, Lob oder Kritik. Manchmal, wenn sie ihn für die Nacht zurechtgemacht hatte und er sich so recht behaglich und wohl fühlte, schenkte er ihr ein warmes, gefühlvolles Lächeln, hob seine Hand, um ihre zu streicheln, und sagte ihr, wie lieb er sie fände. Unweigerlich nahm sie dann diese aufreizende Haltung des »was ich tue, tue ich, weil es meine Pflicht ist« an. Der Gedanke kränkte ihn, daß sie so wenig Interesse an ihm als Mann nahm und von ihm erwartete daß er ebensowenig Interesse an ihr als Frau nehmen sollte. Er wollte ihr gar nicht den Hof machen oder so eine Art Landser-Verhältnis zwischen Pflegerin und Patient anfangen, aber ihr Benehmen bedeutete ein völliges Versagen seiner Methode, die sich in der guten alten Zeit ganz gut bewährt hatte. Er war gespannt, ob er dieses Eis nicht doch noch brechen würde.
    Er lag da, spielte an seiner Torte herum und beobachtete die Tischrunde. Obgleich alle sehr um sein Wohl besorgt waren und ihm durch Blicke und Lächeln oder durch Wiederholung von Bemerkungen, die er nicht verstanden hatte, zu zeigen versuchten, daß er zu ihnen gehörte, fühlte er sich doch ausgeschlossen und betrachtete sie ganz objektiv. Er fand es weniger anstrengend, der Unterhaltung überhaupt nicht zu folgen, da er sie doch nur ungenau mitanhören konnte. Einzelne Bemerkungen und Ausrufe, völlig ohne Zusammenhang, streiften sein Ohr wie Gesprächsfetzen, die von der Straße heraufwehten.
    Wenn er Augen und Ohren halb schloß, konnte er sich einbilden, daß dort irgendeine Familie beim Lunch säße, viel ferner, aber viel interessanter, so wie man die Häuslichkeit anderer Leute von der Straße aus sieht. Von seinem Bett aus betrachtete er die neun Leute um den Tisch wie aus einem Theatersessel heraus. Unter dem Deckenlicht, das in diesem niedrigen, dunklen Raum selbst am Morgen angezündet werden mußte, glänzten ihre Haare: das seiner Mutter mit seinem malvenblauen Schimmer, Tobys schwarz und glatt, die filigranhafte Schönheit von Heathers Locken, so verschieden von dem reinen, polierten Gold auf Elisabeths Kopf.
    Hier hatte man alle Ingredienzien eines glücklichen Familienlebens: die gütige Mutter mit breitem Lächeln, weil allen das Essen schmeckte, das sie gekocht hatte; die hübsche junge Frau, die sich zu dem helläugigen kleinen Jungen im hohen Kinderstuhl neigte; die frische Gesichtsfarbe der in freier Natur erworbenen Gesundheit bei Fred und Violet; Evelyn, das aufgenommene, heimatlose kleine Kind, mit der blauen Schleife im zusammengebundenen, ingwerfarbenen Haar, das ihr in den Teller baumelte. Anne und Toby gaben der Szene etwas Komödiantisches; sie sahen aus, als ob sie jeden Augenblick anfangen könnten, einen Knüttelvers herzusagen. Das Klappern der Messer und Gabeln und das Murmeln der Unterhaltung, hie und da von Gelächter aufgehellt.
    Dann sprach jemand zu ihm, ein anderer drehte sich auf seinem Stuhl zu ihm herum, fragte ihn etwas, und während sie ihn so auf die Bühne zerrten, brachen sie den Zauber ihres eigenen Scharms. Jetzt merkte er, daß sich seine Mutter noch immer über Violet ärgerte, daß Heather an David herumnörgelte, weil er seinen Pudding essen sollte, daß Fred ein langweiliger Schwätzer war, daß Violet mit offenem Munde aß, daß Evelyn nicht rührend zart, sondern einfach mager war und daß Anne und Toby über irgendeinen Puffy Bates sprachen, von dem kein anderer jemals etwas gehört hatte.
    Steckt in uns, sinnierte Oliver, ein stupider Hang zur Alltäglichkeit, der jede Szene entzaubert, sobald wir mitspielen, und den reizenden Lunch eines Irgendwer nichtssagend werden läßt, sobald er zum eigenen Familienlunch wird?
    Ebenso kann ein Dorf, an einen Hügel geschmiegt, vom Zuge aus so aussehen, als ob es genau der Platz wäre, an dem man seinen Lebensabend verbringen möchte; steigt man aber aus dem Zuge und geht in das Dorf hinein, so ist der Zauber entwichen mit eben dem Zuge, in dem man sich gelangweilt und nach dem Dorf gesehnt hatte.
    »Ich kannte einmal einen Mann«, sagte Fred, »der hielt sich ein Schwein in der Küche, das er an einem Tischbein festgebunden hatte.«
    »Was Sie nicht sagen, das ist aber interessant«, sagte Mrs. North, »magst du deine Pastete nicht, Oliver? Ich kann dir auch etwas anderes bringen. —

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