Zwölf um ein Bett
Mrs. North, die keinem anderen zutraute, den Schraubdeckel fest genug zuzuschrauben, mit Tee gefüllt, der für je zwei Tassen Tee bei zweimaligem Aufwachen reichte. Wenn er abends eindöste, hoffte er schon, bald wieder aufzuwachen; als er eines Nachts fest durchgeschlafen hatte und beim Aufwachen entdeckte, daß Elisabeth an Stelle der unberührten Thermosflasche eine frische Tasse Tee hinstellte, fühlte er sich beinahe geprellt.
Nachdem er seine Furcht vor schlaflosen Nächten verloren hatte, gab es kaum noch welche, und wenn doch, so warf er sich nicht mehr nervös hin und her, seufzte, machte das Licht an und aus und überlegte, wer sich mehr darüber ärgern würde, er oder Elisabeth, wenn er die Glocke läutete, sondern er konnte ruhig in seinem Bett sitzen und brühheißen Tee trinken, ohne mit Bedauern an die fürchterliche Nachtschwester mit den großen Zähnen und ihrem aufgewärmten, lauwarmen Tee denken zu müssen. Wieder erfrischt, las er oder schrieb Briefe, bis er einschlief, während die Thermosflasche mit zwei weiteren Tassen voll Tee wie ein Schutzengel neben seinem Bett stand.
Wenn er um halb sieben aufwachte und noch warten mußte, trank er keinen Tee mehr, weil es ihm den Appetit auf die Tasse Tee verderben würde, die Elisabeth ihm brachte. Sie machte den Tee besser als seine Mutter, die für sich in Anspruch nahm, so anglisiert zu sein, daß sie besseren Tee machen könnte als die Engländer. Wenn Elisabeth hereinkam, drehte sie das Licht nicht an, so daß das Licht vom Fenster den von der Tasse aufsteigenden Dampf gegen das übrige dunkle Zimmer abzeichnete. Es war eine Wedgewood-Tasse in einer tiefen, napfförmigen Schale; auf einer Seite zeigte sie eine grauweiße Kuh, auf der anderen ein Bauernhaus mit einer Frau, die Hühner fütterte. Dampfend stand sie da, wie das verführerische Angebot eines Genusses, der den Gaumen kaum mehr locken konnte als die Augen.
Draußen im Garten zwitscherten die Vögel, als ob sie ihre ganze Musik für diese makellose Stunde verschwenden wollten. Sobald die erste Frische des Tages verging, verfielen sie in eintöniges Tschilpen und zwitscherten erst wieder, wenn ein Regenguß die Luft erfrischt hatte. Drei oder vier Drosseln — er wollte gern glauben, daß es immer die gleichen waren — hüpften auf dem Rasen herum; scheinbar ziellos sprangen sie mit kleinen Schrittchen im Grase dahin. Wie sie so mit beiden Beinchen gleichzeitig hüpften, sah es aus, als ob sie nur eins hätten; und Oliver dachte, wenn er mit ihnen zusammen da draußen herumhüpfte, würden seine Bewegungen ziemlich ähnlich aussehen.
Und genauso, wie er beim Durchqueren des Zimmers lebhaft die Berührung des Fußbodens mit dem fehlenden Fuß gefühlt hatte, krümmte sich in seiner Phantasie die nackte Sohle dieses Fußes um die nassen Grashalme, die für die Vogelbeine kleine Sprungschanzen bedeuteten.
Bei seinen immer seltener werdenden Anfällen von Depression, in denen er am liebsten überall anderswo gewesen wäre, nur nicht da, wo er war, kränkte es ihn eigenartigerweise nie, daß er nicht in den tönenden, perlenden Morgen hinauslaufen konnte. Er hatte nun so lange die Rolle des Beobachters spielen müssen, daß er glaubte, an dem frühmorgendlichen Leben des Gartens ebensoviel Freude zu haben, wenn er ihn betrachtete, als wenn er ein Teil davon wäre. Der Garten draußen, dessen Rasen stufenweise bis zum Grunde der Wiese abfiel, die drüben vom Hügel mit der Baumgruppe begrenzt wurde, jenem Hügel, der den im Morgengrauen kaum erkennbaren Wrekin halb verdeckte, quälte ihn ebensowenig wie ein Landschaftsbild an der Wand. Man konnte sich das Vergnügen machen, seine Phantasie spielen zu lassen und in das Bild hineinzutreten, so wie Alice im Wunderland in den Spiegel. Weil dies praktisch aber nicht möglich war, konnte die Freude am Bild niemals zerstört werden.
Wenn manche sagten: »Wie schrecklich, immer diese schöne Aussicht zu haben und nicht hinausgehen zu können, besonders im Frühling«, so verursachte ihm das keinen Schmerz. Er versuchte seinen Standpunkt nicht zu erklären, denn er wußte, daß alle, die nicht lange Zeit im Bett oder im Gefängnis hatten zubringen müssen, kein Verständnis dafür hatten, wie man sich allmählich egozentrisch in die gewohnte Umwelt zurückzog.
»Ich habe gehört, daß du bald aufstehen und hinausgehen kannst«, sagten sie, »das muß doch wunderbar sein.« Auch dann versuchte er nicht zu erklären, daß dies Wunder sehr
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