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Zwoelf Verstossene auf Wallfahrt

Zwoelf Verstossene auf Wallfahrt

Titel: Zwoelf Verstossene auf Wallfahrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Seinsche
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standen, gabelte sich der Weg, und dann bogen die Obermauelsbacher nach links ab. Wenn sie noch eine Stunde weiter waren, sahen sie rechts jenseits des weiten Tales den großen Wald dunkel und drohend da liegen. Dann geschah es wohl, daß der eine oder andere der alten Pilger eine Sage erzählte, die von seltsamen Ereignissen aus dem großen Wald zu berichten wußte. Aber nach ein, zwei Stunden hatten sie den großen Wald wieder aus den Augen verloren, und man dachte wieder nur an den Rosenkranz und das Gebetbuch und die vielen Anliegen, deretwegen man nach Heiligkreuz wallfahrtete .
    Wir hätten in unserer Erzählung kaum ein Wort über den großen Wald zu sagen brauchen, wenn nicht ebenjener Kreuzweg auf der Wacholderhöhe gewesen wäre. An diesem Kreuzweg aber sind die elf »Verstoßenen« nach rechts abgebogen trotz Willems Warnung und trotz seines Vorschlages, zurückzugehen, um nachzufragen. Ein oder zwei Stunden sind die elf noch weiter gegangen, dann lief ihr Weg geradezu in den dunkeln Wald hinein. Und nun, da wir zu ihnen zurückkehren wollen, stecken sie bereits tief drinnen. Sie sind schweigsam geworden, die »Verstoßenen«, und wenn sie einen Rosenkranz beten, dann klingt es recht zaghaft. Das tut der Zauber der uralten Eichen und Buchen, die im Herbstlaub da stehen, das tut die feierliche Stilleim Dickicht, wo Schlinggewächse, tausendfach verzweigt, über gestürzten Stämmen wuchern. Die blanken Augen der Jungen hatten einen stahlharten Glanz bekommen, und der Blick, den sie rechts und links vom Pfad in die geheimnisvolle Dämmerung des Waldwebens warfen, wurde scharf und spähend. Sie waren eigentlich dauernd auf der Hut, als müßte mit jedem Augenblick etwas ganz Unheimliches über sie kommen durchs Unterholz von der Höhe, oder von jenseits des trägen Waldbaches, der zuweilen ihren Pfad begleitete. Ein Dorf hatten sie auf ihrem Marsch noch nicht berührt, nicht einmal einen Hahnenschrei gehört oder ein fernes Glockenläuten und kein Mensch war ihnen begegnet. Das gespenstige Wispern der Bäume oder das Knistern des Unterholzes wie vom tastenden Schritt eines Menschen oder dem Schleichen eines Wildes störte sie schon gar nicht mehr. Und eigentlich furchtsam waren die »Verstoßenen« ja auch nicht, selbst der kleine Theo nicht, und der war doch noch sehr jung, erst zwölf Jahre alt. Aber die Einsamkeit! Das war’s! Die »Verstoßenen« kamen sich so gottverlassen vor, so vergessen von aller Welt, als wären sie nun allein in diesen ungeheuren Urwald eingefangen und sollten niemals wieder ein anderes Gesicht sehen. Ja, das war es! Sie sehnten sich nach einem Menschen, den sie nach dem Wege fragen konnten, nach einem Bauernhaus, nach gackernden Hühnern und einem warmen Herd.
    Stundenlang liefen die »Verstoßenen« nun schon immer den gleichen Weg, aber kein Dorf und kein Mensch kam ihnen zu Gesicht, nicht einmal eine frische Karrenspur wollte sich zeigen. Das herbstbraune Laubdach der Bäume bog sich über ihnen zu einem lastenden Gewölbe, das Strauchwerk und sein verschlungenes Gezweig, die gefallenen Stämme im Dickicht und das dürre Geäst um sie her wurden ihnen zu einem undurchdringlichen Verhau, der sie zwang, ihren schmalen Pfad unerbittlich weiterzugehen. Und dieser Pfad, das war den elf »Verstoßenen« längst zur Gewißheit geworden, obwohl keiner es aussprach, führte niemals nach Heiligkreuz. Sie waren falsch. Und nun wollte schon der Abend kommen!
    Zu einem engen Häuflein geschart trabten die elf Jungen in die Dämmerung des 5. Oktober hinein. Eben hatten sie noch ein frommes Lied singen wollen, aber es wollte nicht klingen, und so ließen sie es bleiben. Der Pfad zog sich jetzt an einer steilen Talwand hin. Die Jungen hörten den Bach unten in der Tiefe rauschen. Rechts stieg der Berg schroff an, uralte Eichen wuchsen da mit dichtem Unterholz. Mit einemmal hatte Willem ein seltsames Gefühl. Es war ihm, als wären irgendwoher aus dem Dickicht ein paar lauernde Augen auf ihn gerichtet, die ihn verfolgten. Er spürte fast ihren stechenden Blick und glaubte, es knacken zu hören im Gehölz vom vorsichtigen Tritt eines Menschen. Umsonst suchte er seine Beklemmung abzuschütteln. Nein, da schlich jemand neben ihnen her. Aber wie scharf auch Willem den Hang hinaufspähte, er sah niemanden. Die andern »Verstoßenen« tappten ahnungslos weiter. Mit aufgekrempelten Ärmeln, die Strümpfe bis auf die schweren Schuhe heruntergestreift, trabten sie voran und hielten den Blick zu Boden.

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