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Zwölf Wasser Zu den Anfängen

Zwölf Wasser Zu den Anfängen

Titel: Zwölf Wasser Zu den Anfängen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E Greiff
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nach einer Pause: »Freust du dich?«
    »Freust du dich?«
    »Ja«, sagte sie, »ich freue mich sehr.«
    Ein blasser Lichtschein fiel durch ein Fenster und malte ein Rechteck auf den Steinfußboden.
    »Deine Wache beginnt«, sagte die Frau, stand auf, stemmte die Hände in den Rücken und drückte ihn etwas durch.
    Felt erhob sich ebenfalls. Sie setzte ihm den Helm auf, schloss den Riemen. Schaute ihn an. Sie strich ihm über die Wange, er griff nach ihrer Hand, hielt sie fest, legte sein Gesicht hinein. Er wollte noch ein wenig bleiben. Aber dann käme er zu spät. Er ließ sie los, öffnete die Tür und ging wieder in den Wald. Nach ein paar Schritten drehte er sich um, sie stand in der Tür, winkte, eine Hand hatte sie unter den Bauch gelegt.
    Die hängenden Moose schwangen kaum merklich. Da war ein Hauch, ein leiser Wind. Felt fiel ein, dass er dort Wache halten musste, wo der Wind war. Er drehte den Kopf, versuchte die Richtung zu finden. Er ging, schneller jetzt, fast lief er, der Luftzug verstärkte sich, der Nebel zerriss, hing nur noch in Fetzen am Boden, der Wald wurde lichter.
    Dann war Felt hinaus und stand mitten im Wind, der so stark war, dass er sich nach vorn lehnen musste, um nicht umzukippen. Über ihm spannte sich ein gewaltiger steinerner Bogen,ein Durchgang, ein Tor, gebaut für einen Riesen. Unmöglich, dass Menschen das errichtet hatten, und unmöglich, dass etwas anderes als Wind hindurchgehen konnte. Denn hinter dem Torbogen war nichts, Felt stand an der Bruchkante der Welt, das Land stürzte ab in ein endloses Meer aus Nebel. Felt nahm einen Atemzug, er musste nur den Mund öffnen und der Wind fuhr in ihn und füllte seine Lungen, er hatte den Eindruck, niemals zuvor so tief, so gründlich, so vollkommen geatmet zu haben. Als hätte er gerade eben zum ersten Mal in seinem Leben wirklich Luft geholt. Er stand, breitbeinig, gegen den Wind gelegt, die Arme abgespreizt, mit fliegenden Haaren und einem Tosen in den Ohren und glaubte, er stünde mitten im weit geöffneten Mund der Welt, durch den der gesamte Kontinent beatmet wurde.
    Eine Bewegung über ihm, dann vor ihm: weit gefächerte Schwanzfedern und ausgebreitete Schwingen. Ein riesiger Vogel schaufelte sich mit kraftvollen Flügelschlägen durch den Luftstrom. Felt kannte den Vogel. Das war Babus Falke. Als er ihn sah, als er ihn erkannte, als Juhut sich bereits entfernte, gegen den ungeheuren Wind flog wie gegen eine Unmöglichkeit und dennoch hindurch, fiel ihm alles wieder ein.

 
    VIERTES KAPITEL
VERLOREN
     
    Der Wind riss Babu den Schrei von den Lippen und drückte ihm die Tränen in die Augenwinkel. Felt hielt ihn fest, hinderte ihn daran, sich dem Vogel hinterher und in den Berst zu stürzen. Babu wehrte sich, aber er hatte keine Chance, denn Felt war stärker und hatte den Wind auf seiner Seite. Felt zog Babu mit sich und drückte ihn auf den Boden hinter einer der mächtigen Säulen des Steinbogens. Hier, im Windschatten, war es still, der Atem des Bersts ging durch einen unsichtbaren Korridor hinter dem Bogen und blies in den Wald. Felt hatte sein halbes Leben damit verbracht, in den Berst zu schauen, es gab keinen Zweifel: Sie waren dem Abgrund ganz nah. Nah wie nie zuvor, denn hier schützten keine Berge das Land, hier schwappten, vom Wind getrieben, die Wolken über den Erdsaum und füllten den Wald mit Nebel, der sich festhielt an den Stämmen, Ästen, Moosen und Schlingpflanzen.
    »Wie bist du hierhergekommen? Wie hast du mich gefunden?«
    Babu konnte nicht sprechen, er schluchzte hemmungslos wie ein kleines Kind, dem die Mutter abhanden gekommen war. Felt verstand, denn auch wenn er nicht weinte, fühlteer dasselbe wie Babu: Er hatte etwas Wichtiges verloren, das Wertvollste   – Reva. Seine Aufgabe hatte allein darin bestanden, sie zu begleiten, und er hatte versagt. Er setzte sich neben Babu, er musste nachdenken, er durfte jetzt nicht die Nerven verlieren.
    Er wusste nicht, wo sein Gepäck war, er wusste nicht, wo sein Pferd war   – er wusste nicht, wo Reva war. Nur sein Schwert war noch an seiner Seite und die Aufgabe in seinem Kopf. Was geschehen war, nachdem sie in den Wald geritten waren, hatte er vergessen.
    »Babu, sag mir: Wo ist dein Pferd?«
    Babu zuckte hilflos mit den Achseln, sah ihn an mit verheulten Augen, dann vergrub er sein Gesicht in der Armbeuge und flennte weiter. Von ihm war vorerst keine Hilfe zu erwarten. Felt sah den Wald   – dreißig, höchstens vierzig Schritte von ihm entfernt wuchsen

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