Zwölf Wasser Zu den Anfängen
sein. Aber es blieb ihnen nichts anderes übrig.
»Jetzt du!«
Kersted hatte sich schon nach einer geeigneten Stelle umgesehen. Er nahm Utate, die sich nicht gerührt hatte, einfach wie einen gerollten Teppich über die Schulter und sprang mit ihr in die Pflanzen des steilen Hangs. Er fand sofort einen Halt und tauchte ein ins Grün, man sah nur noch die Bewegung in den Blättern. Jetzt war Felt an der Reihe, aber er konnte nicht gleichzeitig springen und das Boot halten.
»Reva, ich bitte dich, komm zu mir.«
Sie tat es.
»Und jetzt: Umarme mich. Fester. Halt dich an mir fest.«
Er zog die Beine an und gab dem Boot einen Tritt. Es trudelte, dann griff der Fluss es sich und nahm es mit. Felt machte einen Klimmzug, schwang sich, so gut es ging, unter den Wurzelballen. Revas Gewicht war kaum spürbar, aber ihre Arme um seinen Hals waren kalt wie die einer Toten. Wo ihre Haut die seine berührte, kroch ihm die Kälte über den Hinterkopf und vereiste die Kopfhaut. Felt versuchte, mit den Füßen irgendwo Tritt zu fassen, aber unter dem umgestürzten Baum war das Ufer weggeschwemmt, er strampelte in bloßem Blätterwerk. Schließlich gab er auf. Dann musste er eben hängen bleiben, die Stiefel zwei Handbreit über dem Wasser. Er lauschte. Er hätte nicht sagen können, ob die Hufschläge lauter geworden waren.Aber nun glaubte er erkennen zu können, aus welcher Richtung sie kamen: Sie waren irgendwo über ihm. Dann waren sie also ans richtige Ufer gesprungen, an das, wo auch die Reiter waren. So hatten sie wenigstens eine Chance, nicht sogleich entdeckt zu werden. Jetzt waren die Tritte nicht wesentlich lauter, aber sie waren langsamer geworden und Felt hörte ein Schnauben. Knirschendes Sattelzeug, leises Klirren. Rüstungen, Waffen. Die Soldaten suchten den Fluss ab. Er hielt den Atem an, Reva verhielt sich vollkommen ruhig, aber er spürte, wie die Betäubung in seinem Nacken nachließ: Ihr Griff lockerte sich. Sie durfte ihm jetzt nicht ins Wasser fallen. Er schaute auf, krallte sich noch fester in die Wurzeln, lose Erde bröckelte ihm ins Gesicht, dann packte er mit einem Arm nach Reva, bekam sie gerade noch rechtzeitig in den Griff, hielt sie unter den Achseln. Sie fasste in den Halsausschnitt seines Brustpanzers und zog sich wieder ein Stück hoch, sodass er sie um die Taille greifen konnte. Für einen kurzen Moment trafen sich ihre Blicke. Sie zeigte keine Angst, sie war gelassen, als wäre das alles nur eine Übung, die sie schon tausend Mal gemacht hatten. Aber Felt hing nicht tagtäglich an einem Arm in der Gegend herum. Nicht mehr, denn früher, als junge Männer, hatten sie das oft machen müssen.
Tothängen
hatte das der Ausbilder genannt, es war eine Kletterübung, die die Fingermuskulatur stärkte. Das war lange her. Felt spürte die Müdigkeit im Arm und wusste, dass der Krampf bald kommen würde. Er biss auf die Zähne, etwas würde es schon noch gehen.
Die Soldaten waren jetzt direkt über ihnen, Felt konnte förmlich spüren, wie sich einer der Reiter in die Steigbügel stellte, um einen besseren Überblick zu bekommen. Wenn er nur nicht abstieg, wenn er sich nur nicht über die Böschung beugte. Doch, er sprang ab. Schwere Stiefel und wieder das Klirren, das Felt so gut kannte. Dann ein Ruf, ferner: »Das Boot! Hierher!«
»Hast du sie?«
Die Antwort war nah und nicht nur das: Die Männer sprachen Welsisch. Felt ließ los.
Stahl und Wasser haben sich noch nie gut vertragen und Felt ging unter wie ein Stein. Seine Rüstung, seine Stiefel, seine Waffe zogen ihn hinunter, er ruderte, er verlor Reva, er strampelte. Er konnte nicht schwimmen, kein Welse kann schwimmen. Als er noch über Wasser gewesen war, hatte er sich keine Gedanken darüber gemacht, wie tief der Fluss war, doch nun, als die Strömung ihn mitriss, fragte er sich, wie lange er wohl die Luft anhalten könnte. Er hatte das als kleiner Junge zuletzt geübt und die anderen hatten immer länger zählen können als er. Felt schlug um sich, er fand im Wasser keinen Halt, er musste Luft holen, er konnte nicht mehr. Wie Säure brannte das Wasser in seinen Lungen, er gurgelte, er spürte eine enge Klammer um seine Kehle.
Es war Reva. Sie hob sein Kinn über Wasser, Felt hustete und würgte. Er griff nach ihren Armen, sie waren so dünn, er packte noch fester zu, er wollte nicht ertrinken, sterben, wenn’s sein muss, aber nicht einfach absaufen, das nicht. Doch Reva hielt seinen Kopf über Wasser, er konnte wieder atmen, er würde
Weitere Kostenlose Bücher