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Zwölf Wasser

Zwölf Wasser

Titel: Zwölf Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E. L. Greiff
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Verantwortung muss er dennoch übernehmen.«
    Niemand sagte etwas darauf. Was gab es auch zu sagen? Hier war kein Richter, der Babu hätte verurteilen können. Aber auch kein Opfer, das Babu hätte freisprechen können, indem es ihm verzieh. Die Opfer waren alle tot. Es stand Felt nicht zu, anstelle der Dienerin Alba, der zerrissenen Soldaten, der zerfetzten Kaufleute, anstelle des erstickten Gerder oder des dem Fieber erlegenen Wigo den jungen Merzer von seiner Verantwortung zu befreien. Er wollte es gern, aber es war nicht möglich.
    »Siehst du, Felt? Begreifst du nun?« Babu lächelte matt. »Durch mich sind die Wölfe in die Welt gelangt. In mir ist ein Riss, eine Wunde, die sich nicht schließen will. So fühlt es sich für mich an. Der Dämon sagt, dort hindurch würde auch erkommen. Das darf ich nicht zulassen. Habe ich nicht schon genug Unheil angerichtet?« Er stand auf. »Felt, du hast gefragt, warum ich mein Leben beenden will, wo wir doch beschlossen haben, für das Leben auf dem Kontinent zu kämpfen. Jetzt weißt du’s. Wenn ich den Splitter nicht entfernen kann, dann muss eben ich aus dieser Welt entfernt werden. Wenn ich sterbe, schließt sich das Tor. Wenn ich sterbe, kann das Leben weitergehen. Und wenn ich auf diese Weise meine Schuld abtragen kann, dann komme ich günstiger weg, als ich es je verdient hätte.«
11
    An Babus schwere Worte konnte man keine weiteren anknüpfen; auf das Gespräch am frühen Morgen musste erst ein Schweigen folgen. Babu war nicht wieder nach oben in seine Dachkammer in der Mühle gestiegen, sondern hinaus in den Tag getreten. Er ging um den Teich und dann den Bachlauf bergan   – am Himmel folgte ihm Juhut, sehr weit oben, sehr fern. Felt stand in der Türöffnung des Ofenhauses und sah den beiden nach. Babu fürchtete sich also vor der Szasla? So seltsam das zunächst anmutete, Felt konnte es verstehen. Es war die Furcht, nicht zu genügen. In Babu war mehr dunkle, schwere Trauer, als Felt sich das hatte vorstellen können   – im scharfen, erbarmungslosen Blick der Szasla musste diese Trauer besonders groß und finster erscheinen. Das Letzte, was Juhut tat, war Trost zu spenden. Aber vielleicht wäre es das, was Babu am dringendsten brauchte? Mit einem beklommenen Seufzen blickte Felt nach oben. Im Blau des Firstenhimmels war der Falke kaum noch erkennbar, aber umgekehrt sahen Juhuts Augen ganz sicher, was unter ihm vorging. Die Szasla hielt an Babu fest,mehr noch: Juhut war es zu verdanken, dass Babu noch nicht in den Abgrund gestürzt war, der sich in seinem Innern auftat. Der Falke war die Schutzmacht, die über Babu schwebte und den Dämon daran hinderte, von ihm Besitz zu ergreifen. Zwei, drei tiefe Atemzüge lang erschien es Felt, als sei er nur ein Spielstein, der von großen, unsichtbaren Mächten auf dem Spielbrett des Kontinents hin- und hergeschoben wurde. Weder er noch Babu noch irgendein Mensch konnten wirklich etwas ausrichten   – die Spieler waren Dämonen und Szaslas, Undae und Hüter, vielleicht noch andere, größere, fremdere Mächte, die Felts Vorstellungskraft weit überstiegen und von denen er deshalb nie etwas wissen würde. All diese Mächte spielten ein großes Weltenspiel, das viele Menschenleben dauerte und erst zu Ende war, wenn alle Runden, alle Zeitalter durchlaufen waren.
    Als Felt kaum noch Luft bekam, weil eine allumfassende, der Machtlosigkeit entspringende Furcht ihn umklammert hielt, trat Melrunden aus einem der Häuschen. In Decken gehüllt, steuerte sie die Bank am Wasser an. Ihr Hüftleiden ließ sie hinken, machte sie aber nicht übellaunig: Als sie Felt sah, hob sie den Arm und winkte ihm fröhlich zu. Sie wollte, dass er sich zu ihr auf die Bank setzte. Sie wollte einen Zuhörer. Und Felt wollte nur zu gern einer von Melrundens Geschichten lauschen und darüber wenigstens eine Zeit lang vergessen, wie ohnmächtig er sich fühlte.
    »Der Junge mag sich wohl nicht zu uns setzen?«, fragte Melrunden vorsichtig hoffend, als Felt sich zu ihr gesellte.
    Er schüttelte den Kopf.
    »Na, macht ja nichts. Was soll er sich auch mit mir altem Weib abgeben. Ich kann zufrieden sein, dass du ein bisschen mit mir sitzen magst   – auch wenn du nicht halb so gut aussiehst wie er.« Sie wackelte tadelnd mit dem Kopf. »Ich sollte nicht immer darauf herumreiten und es tut mir leid. Du musst denken, ich halte dich für ein Ungeheuer, dabei stimmt das überhaupt nicht. Ich sehe deinen Kummer und ich spüre, du hast ein gutes Herz. Ein

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