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Zwölf Wasser

Zwölf Wasser

Titel: Zwölf Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E. L. Greiff
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Blick.«
    »Also gut«, ächzte Kersted und erhob sich, stand gebeugt und mit eingezogenem Kopf in der kleinen Koje; dieses Schiff war nicht für einen Mann seiner Größe gebaut. »Zeig mir deine schöne Nacht und den prächtigen Himmelsnehmer. Vielleicht kann ich doch noch etwas lernen, bevor ich sterben muss.«
    Nachdem sie sich von Dern und seinen Männern, den Freien Söhnen, getrennt hatten, waren sie den Naryn hinabgefahren. Der Unterlauf des Flusses war unberührt und so, wie Utate ihn beschrieben hatte. Er verbreiterte sich zu einem See, dessen seichte Ufer mit wahren Schilfwäldern bewachsen waren. Dass hier zu Beginn des Lenderns viele Vögel brüteten, war leicht vorstellbar. Aber nun war der Lendern zu Ende und das Rascheln des kalten Winds im Schilf hatte Frost angekündigt. In langen Ketten oder spitzen Keilen waren große Vögel über sie hinweg Richtung Süden geflogen. Die Dhungänse zögen nun übers Meer nach der Südlichen Herkunft, hatte Utate erzählt, und wenn sie einmal in der Luft wären, würden sie bis zum Ziel nicht rasten. Glaron bedauerte nur, dass es zu spät war, um welche zu fangen: Vor dem Flug seien die Gänse schön fett und lecker   – nun aber waren sie unerreichbar. Der Koch hatte sich auf seine unauffällige Art gut in die Reisegruppe eingefügt und kümmerte sich, wenn er keine Mahlzeiten zubereitete, schwarzen Tschai aufbrühte, aufräumte, abwusch oder Vorkehrungen für das nächste Essen traf, vor allem um Nendsing. Kersted sah die väterliche Zuneigung des mehr als doppelt so alten Mannes zu der Segurin und war ihm dankbar für diese Fürsorge. In diesen schweren Zeiten war eine aus einer Rübe geschnitzte Blüte, die in der Suppe schwamm, wertvoller als Gold. Glaron gelang es jeden Tag, ein Lächeln auf Nendsings Gesicht zu zaubern. Er war nieunterwürfig oder darauf aus, ein Lob einzuheimsen; sich in den Dienst anderer zu stellen war ihm ein natürliches Bedürfnis, sein Lebensinhalt. Kersted hatte als Offizier zwar viel mit Untergebenen zu tun gehabt, aber kaum mit Bediensteten. Der Einzige war Temmer gewesen, der alte Diener in der Lorded, der entsetzlich schwachen Gansetee kochte und den frierenden Männern wässrige Zwiebelsuppe hinstellte. Temmer hatte ein gutes Herz, in Goradt musste das genügen. Glaron dagegen war gebildet und mitfühlend, dabei zäh und mit einem Lebenswillen ausgestattet, der so groß war, dass er kaum in seine drahtige Gestalt hineinzupassen schien. Es war ein unwahrscheinliches Glück, aber vielleicht kein Zufall, dass ausgerechnet die zierliche Sternenleserin und der pramsche Koch überlebt hatten. In beiden steckte mehr, als man auf den ersten Blick erkennen konnte.
    Fander hatte   – noch unterwegs auf dem Naryn   – die Frage gestellt, nach welcher Quelle man am Ende eines Flusses suchen sollte, und Kersted hatte sie daraufhin Utate gestellt. Die hatte auf ihre unnachahmliche Weise gelächelt und gesagt: »Jeder Fluss hat mindestens eine Quelle. Aber nicht aus jeder Quelle wird ein Fluss. Wir suchen eine Beridh Oroda , eine Kalte Quelle. Sie entspringt am Meeresboden, im Mündungsgebiet von Naryn und Dhonst. Dort steigt das Quellwasser auf und schwimmt auf dem salzigen Meerwasser, denn es ist leichter. Wir suchen einen kleinen Süßwassersee im unendlichen Ozean.«
    Und genau das taten sie nun seit einigen Tagen: Sie kreuzten draußen vor der Küste und die Firstenwinde wühlten das Meer auf. Kurz bevor der Naryn sich ins Westliche Meer verabschiedete, buchtete er sich südwärts zu einem natürlichen Hafenbecken aus. Dort hatten die Nord-Kwother einen Stützpunkt und die Gruppe hatte das Schiff gewechselt. Der Segler, auf dem sie sich nun befanden, war größer als das Flussschiff und schiendabei schnell und wendig zu sein. Kersted verstand wie jeder Welse nur sehr wenig von Schiffen, aber er wusste, dass die Nord-Kwother mit diesen Segelbooten die Küste entlangfuhren und sie bewachten. Kaum waren sie jedoch aufs offene Wasser gefahren, hatte er nichts mehr mitbekommen und nicht mehr denken können, weil die Seekrankheit ihn fest im Griff hatte.
    In dieser Nacht jedoch war die See recht ruhig und Kersted bereute nicht, Nendsing an Deck gefolgt zu sein. Seit sie seinen Blick immer wieder nach oben lenkte, begann er die kalte und ehrfurchtgebietende Schönheit der Sterne zu begreifen. Wer den Himmel verstand, hatte in der Welt einen großen Vorteil, denn er kannte Zeit und Raum. Mit wenigen Hilfsmitteln konnte Nendsing bestimmen,

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