Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zwölf Wasser

Zwölf Wasser

Titel: Zwölf Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E. L. Greiff
Vom Netzwerk:
der Hüter …«, seine Finger tasteten über den Stein, wie die der Blinden es viele Male getan hatten, »… und wenn der Hüter sterben will, dann muss auch die Quelle versiegen. Oder?«
    »Ja. Quelle und Hüter sind untrennbar miteinander verbunden. Es war damals nicht leicht, Endhemone davon zu überzeugen, diese Bürde anzunehmen. Sie hat nur eingewilligt, weil Miwoghd es auch getan hat.«
    »Wer ist das?«
    »Ihr Mann. Ich hoffte, du würdest ihn bald kennenlernen. Ich hoffe es immer noch.«
    »Ihr Mann ist auch ein Hüter? Welche Quelle schützt er?«
    »Die Wichtigste von allen«, sagte Smirn und wandte sich wieder zum Gehen.
    Weil Smirn vor ihm ging und ihr Licht hell strahlte, sah Marken das rote Glühen am Himmel erst spät. Sie waren zwei oder drei Stunden schweigend bergan gewandert, Marken hatte kein einziges Mal die Hand vom glatt gefassten Fels genommen. Wenn Endhemone wirklich sterben wollte, dann durfte sie die Quelle nicht beleben. Aber warum wollte die Hüterin diese Welt verlassen? War ihr die Bürde zu schwer geworden? Sardes starb, weil seine Quelle versiegte, er trug sein Schicksal mit Fassung. Hier war es umgekehrt. Die Quelle musste sterben, weil die Hüterin nicht mehr leben wollte. Was wären die Folgen? Wie lebte es sich in einer Welt, die keine Gerechtigkeit mehr kannte? Würde man das überhaupt bemerken? Es kam Marken nicht so vor, als sei sein Leben bisher in irgendeiner Weise gerecht verlaufen.
    Fast wäre er auf Smirn geprallt, die stehen geblieben war und die weiße Flamme erstickt hatte. Der Pfad machte eine scharfe Kehre, noch verbarg Fels   – ein gezacktes Schattenbild vor unwirklich blutrotem Nachthimmel   –,   was dahinter war. Marken roch einen fauligen Gestank, im nächsten Augenblick schon war es ein übler Geschmack geworden. Er schluckte, würgte. Das Rauschen der Globa war längst nicht mehr zu hören gewesen; nun drang ein anderes Geräusch an Markens Ohr: ein krachendes, schabendes Blubbern. Es war ein fremder und seltsam falscher Klang, denn es war nicht das Knistern oder Flackern eines Feuers. Sondern das Kochen einer Flüssigkeit, die hart war. Sie folgten der Wegbiegung und Marken hatte das Gefühl, eine lebensrettende Deckung zu verlassen.
    Hitze schlug ihnen entgegen. Marken musste sofort an Ormn denken, eine enge Klammer legte sich um sein Herz. Er atmete so flach wie möglich, die heiße, stinkende Luft stach ihm wie mit Nadeln in den Rachen. Was er aber schließlich sah, ließ ihn das Atmen vollends vergessen.
    Sie standen am Rand eines kreisrunden Kraters, groß wie ganz Goradt. Im Innern wogte wie in einem gigantischen Schmelztiegel flüssiger Stein und legte zischend seine glänzend schwarze Haut in Falten. Immer wieder brach die Kruste und wie dickflüssiger Eiter quoll rot glühende Gesteinsmasse aus den Rissen hervor. An manchen Stellen züngelten Flammen; dort brannten die stinkenden Gase und Rauch stieg auf. Im weiten Kesselrund sahen die Brandherde aus wie die Lagerfeuer eines unsichtbaren Dämonenheers. Alles war in langsamer, aber von gewaltigen Kräften angetriebener Bewegung: Die schwarz glänzenden Krustenplatten verschoben sich gegeneinander und übereinander. Feuer erstickten oder flammten auf; dort erkaltete ein roter Glutstrom, während sich woanders eine Blase von der Größe eines Hauses erhob, die Kruste beiseite drängte und schließlich in einer hell glühenden Fontäne krachend zerbarst.
    Marken war nicht leicht zu beeindrucken, er war zu oft in den Schmelzen am Berg gewesen und hatte dort den Stahl kochen sehen. Aber dies hier war ein so tiefer Blick in die rumorenden Eingeweide des Kontinents, dass er taumelte. Sein Brustschutz schien zu glühen. Seine linke Gesichtshälfte, wund und empfindlich, schmerzte wie seit Tagen nicht mehr. Seine Augen tränten. Smirn trat nah zu ihm. Sie war deutlich kleiner als er, aber ihre Kühle umgab sie wie ein zweiter, größerer Körper, mit dem sie Marken vor der Hitze abschirmte. Und vor dem, was in Markens Erinnerung brodelte. Allein Smirns Nähe verhinderte, dass die feurigen Augen des Dhurmmets Marken aus dem lodernden, stinkenden Kessel heraus anstarren konnten. Er fing sich wieder. Die Schmerzen ließen nach. Die Unda hob den Arm, Marken folgte ihrem Fingerzeig. Über den Krater führte eine hohe schmale Brücke, der Schattenriss des Bauwerks bildete eine geschwungene Linie vorm fiebrig glühenden Himmel. Aber die Brücke führte ins Nichts, sie war größtenteils eingebrochen, die

Weitere Kostenlose Bücher