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Zwölf Wasser

Zwölf Wasser

Titel: Zwölf Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E. L. Greiff
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mattgolden schimmernder Rüstung stand dort ein kwothischer Krieger. Obwohl Marken nicht gut sehen konnte, bemerkte er sofort, dass dieser Krieger statt der in Kwothien üblichen Axt ein langes, reich verziertes Schwert in der Hand hielt. Es erinnerte Marken an das Schwert von Sardes, des Quellhüters in Pram. Der Krieger hatte den behelmten Kopf weit in den Nacken gelegt und blickte wahrscheinlich in den Himmel. In der Decke des Turms musste, wie bei den Totenhäusern der Nadhina-Mmet, eine Öffnung sein. Ob er von dort den Rauch beobachten konnte? Er rührte sich nicht. War dieser Krieger nun der Hüter der Quelle oder nur ein Wächter? Oder gar … dessen Mörder? War er ein Dhurmmet?
    »Smirn, da ist jemand drin.« Markens Stimme bebte, er räusperte sich.
    »Ich weiß«, sagte sie matt und ließ die Hände sinken, schaute Marken an.
    »Und warum öffnet er nicht? Wer ist das? Soll ich das Tor aufbrechen? Sag mir einfach, was ich tun soll, ich bitte dich!«
    »Du kannst dieses Tor nicht aufbrechen, Marken. Wenn sie uns nicht einlässt, können wir nicht zur Quelle gelangen.«
    » Sie ?«
    »Ja, sie. Dort drinnen ist Endhemone, Hüterin der Quelle der Gerechtigkeit. Und sei versichert: Ihr Schwert ist, obwohl alt, nicht stumpf. Sie kämpft nicht gern, aber sie gewinnt am Ende immer.«
    Marken blickte mit offenem Mund wieder durch die vergitterte Öffnung. Das war tatsächlich eine Frau   – eine sehr beeindruckende Frau. Sie hatte das Kinn nun gesenkt, die vollen Lippen fest verschlossen. Ihre großen Augen waren auf Marken gerichtet; sie schimmerten wie Perlen in ihrem dunklen Gesicht. Es war Markens Sorge um sein eigenes Augenlicht, die es ihn sogleich erkennen ließ: Die Hüterin war blind.
2
    »Und was nun?«, hatte Marken gefragt.
    »Reden«, hatte Smirn geantwortet.
    Das hatte sie getan und sie tat es immer noch, es wurde bereits dunkel. Marken saß auf dem Steinboden der Terrasse, den Rücken gegen die Mauer gelehnt, und beobachtete Smirn. Unermüdlich lief die Unda vor der Stirnseite des Turms auf und ab, sprach zu den dunklen Fensterschlitzen, die Marken im schwindenden Licht immer mehr wie eine Reihe langer schwarzer Zähne erschienen.
    Von drinnen kam nicht viel.
    Beide Frauen sprachen Kwothisch, sodass Marken kein Wort verstand. Aber in Endhemones gedämpfter Stimme hörte er eine Müdigkeit und Trauer, die ihn betroffen machte. Dass die sonst so wortkarge Smirn das schleppende Gespräch mit allen Mitteln in Gang hielt, konnte zudem nur eines bedeuten: Schweigen war der Tod. Endhemones Tod. Warum die stolze Kriegerin dort drinnen lebensmüde war, wusste Marken nicht. Aber sie war es, daran gab es keinen Zweifel. Der Tonfall des Kapitulierens war immer gleich, ob Kwothisch oder Welsisch, ob alter Mann oder junge Frau.
    Jetzt nahm Smirn die Kette mit der Phiole ab und hielt sie hoch. Zwischen den Gitterstäben langte eine Hand danach, eine zweite kam dazu. Marken sah Endhemones ernstes Gesicht hinter dem Gitter. Ihre Perlenaugen schauten ins Nichts, während ihre Hände die Phiole betasteten. Sie entglitt ihr   – oder ließ sie sie fallen?   – und Smirn fing das Glasgefäß auf.
    Sie schwieg jetzt. Sie wartete. Smirn musste Endhemone gebeten haben, selbst einen Tropfen ins Wasser zu geben und die Quelle zu beleben, wenn sie die Unda schon nicht einließ.
    Marken stand auf. Das Geräusch reichte aus, um der Hüterin zu sagen, wo er war. Sie sah ihn an. Es war seltsam   – sie konnte ihn nicht sehen und sah ihn dennoch, Marken spürte es. Sie prüfte ihn.
    Dann verschwamm ihr Gesicht im Dunkel. Endhemone hatte sich wieder zurückgezogen. Smirn hängte sich wortlos die Phiole um den Hals. Nach einer langen Pause sagte sie schließlich: »Komm, Marken. Lass uns das Feuer ansehen, in dem Endhemones Lebenswille verbrennt.«

3
    Es war nun fast vollkommen dunkel und Smirn entzündete ihr weißes Licht. Sie führte Marken zu einem anderen Pfad als dem, den sie heraufgekommen waren. Dieser hier war nicht in den Stein gehauen, sondern mit der Zeit ausgetreten worden. Der schroffe Fels zur Linken wies auf Markens Hüfthöhe einen glatten Streifen auf. Als sei der Stein dort von vielen Vorbeigehenden abgeschliffen worden. Er fuhr mit der Hand darüber, Smirn bemerkte es und blieb stehen.
    »Dies ist ihr Pfad. Endhemone ist ihn gegangen, jeden Tag. Viele hundert Soldern lang.«
    Dort, wo Markens Hand lag, musste auch die von Endhemone oft entlanggestrichen sein. Sehr oft.
    »Wenn die Quelle versiegt, stirbt

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