Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zwölf Wasser

Zwölf Wasser

Titel: Zwölf Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E. L. Greiff
Vom Netzwerk:
sich und er hörte sich atmen. Er ließ ihren Nacken los   – sie hörte nicht auf zu küssen   – und strich über ihren schmalen Rücken. Er wollte, er musste ihr noch näher sein, wollte ihren Körper an seinem fühlen. Nendsing legte eine Hand auf Kersteds Brustschutz, beendete den Kuss und schob ihn sanft, aber bestimmt von sich.
    Der Brustschutz! Er war tatsächlich gerüstet und bewaffnet zu ihr gegangen   – hatte er auf dieser Reise denn alles verlernt? Ärgerlich strich er sich die Haare aus dem Gesicht, nestelte mit ungelenken Fingern an der Schließe des Schwertgurts. Er sah Nendsing nicht an, er wusste auch so, dass sie sich das Grinsenverkniff. Sie lehnte den Rücken an den Stamm, blickte wieder zum Wasser. Endlich war Kersted das Schwert los, aber die Gelegenheit hatte er erst einmal vertan.
    »Wie geht es weiter?«, fragte Nendsing.
    Was genau meinte sie damit   – mit ihnen, jetzt, oder ganz allgemein?
    »Wann werden wir endlich an eine Quelle kommen?« Ihre Ungeduld ersparte ihm eine falsche Antwort. »Wir sind schon so lange unterwegs, so viele sind tot   – und ich weiß nicht, wofür   … Kersted, wofür das alles?«
    »Für uns alle.« Er lehnte sich neben sie an den Baum. »Für die Menschheit. Für den Kontinent, die Zukunft.«
    »So? Und wer sagt denn, dass es hilft? Die Undae? Nützt diese Reise wirklich? Der Kontinent bricht auseinander   – und die Undae tragen tröpfchenweise Wasser zu den Quellen!«
    Sie hatte Angst, natürlich hatte sie Angst. Jetzt war es an ihm, ihren Kopf zu drehen.
    »Schau mich an, Nendsing. Komm, kleine Nen , schau mich an.« Sie lächelte gegen ihren Willen. »Manchmal weiß man nicht, wozu etwas führt; manchmal stößt das Wissen an Grenzen. Mag sein, dass dir das neu ist   – aber ich zum Beispiel, ich bin das gewohnt.« Sie lachte auf. Er strich über ihre Wange. Wie schön diese Frau war. »Ich habe mir sehr oft die Frage nach dem Wofür gestellt, Nendsing. Dort, wo ich herkomme, ist es leicht, sich diese Frage zu stellen   – jeden kalten, dunklen, stürmischen Tag. Eine Antwort hatte ich nicht. Aber einen Satz aus dem, was die Undae uns sagten, bevor dies alles losging, den habe ich mir besonders gemerkt: Hoffnung ist Anlass, nicht Kenntnis .«
    »Aber das bedeutet doch, dass die Undae auch nicht wissen, ob diese ganze Unternehmung Sinn hat!«
    Sie wollte sich lösen, vielleicht sogar aufspringen, aber er hielt sie zurück.
    »Sag mir, Nen, wie rettet man eine Welt?«
    Sie senkte den Blick.
    »Weißt du’s?«, hakte er nach. Sie schüttelte den Kopf. »Du hast die Quelle der Hoffnung nicht gesehen. Aber ich. Ich war da. Ich bin durch einen Albtraum gegangen und angekommen an einem Ort, an dem alles richtig ist … Einem Ort, an dem es keinen Zweifel gibt. Das ist unvergesslich. Ich bin überzeugt, die Hoffnung ist ein guter Anlass. Und du hast es eben selbst gesagt: Das Leben lässt sich nicht so einfach vertreiben.«
    »Du willst mir also sagen: Mach dir keine Gedanken, es wird alles gut?« Ihr Ton war spöttisch, aber nicht vorwurfsvoll.
    »Darauf läuft es wohl hinaus, ja.«
    Sie brütete einige Augenblicke vor sich hin. Schließlich griff sie nach dem neben ihr im Gras liegenden Tuch und warf es sich über die Schultern. Nendsing fröstelte, versuchte, ein Gähnen zu unterdrücken, und sah dabei sehr blass und schmal aus.
    »Warte, noch nicht einschlafen«, sagte Kersted. Er schälte sich aus dem Brustpanzer; sie schloss die Augen und schwankte leicht im Sitzen. Dann legte er sich zurück und sie schmiegte sich mit einer Selbstverständlichkeit an ihn, die alles überbrückte, was üblicherweise zwischen einem ersten Kuss und einem ersten gemeinsamen Einschlafen liegt.
    »Dein Herz schlägt mir im Kopf«, murmelte sie und Kersted dachte: So soll es sein. Er sagte nichts, denn Nendsings gleichmäßige Atemzüge verrieten ihm, dass sie bereits eingeschlafen war.
    Auch Kersted versuchte, sich die Ruhe zu gönnen, zu der Utate ihm geraten hatte. Es gelang nicht. Wie auch? Sein Körper war alles andere als bereit dazu, still dazuliegen und die Frau, die er begehrte, ungestört schlafen zu lassen. Kersteds Herz schlug nach wie vor hart gegen den Brustkorb und das heiße Ziehen in den Lenden war beinahe schmerzhaft. Er versuchte, an Utateund ihre Sorgen um Smirn zu denken, versuchte, sich den Weltuntergang vorzustellen, doch er kam immer nur bis zur Quelle der Liebe. Ja, geliebt hatte er die Frauen schon immer   – und sie ihn. Denn

Weitere Kostenlose Bücher