Zyklus der Erdenkinder 01 - Ayla und der Clan des Bären
sah, dass Tiere flinker waren und sic h nicht ruhig verhielten wie ein Pfosten oder ein Blatt. Wenn die Frauen unterwegs waren und sammelten, gaben sie von Zeit zu Zeit lautes Knurren oder schrille Schreie von sich, um lauerndes Getier zu vertreiben. Ayla tat sich schwer, das nicht zu tun, was sie gewöhnt war. Viele Male, wenn sie noch schnell einen Blick von einem flüchtenden Tier erhaschte, war sie voller Zorn auf sich selbst hinterher, dass sie es auch noch hatte warnen müssen.
Und ohne sich von ihren Misserfolgen allzu sehr entmutigen zu lassen, lernte sich doch durch unermüdliche Versuche, die Tiere aufzuspüren und sich an sie heranzuschleichen. Bald verstand sie es auch, die bruchstückhaften Kenntnisse zu einem Ganzen zu vereinen. Ihr durch das Erkennen von Pflanzen und Kräutern geübtes Auge hatte keine Mühe, nach einer Weile auch die Jagdzeichen zu verstehen: eine Tierlosung, ein schwacher Abdruck in der Erde, ein abgeknickter Grashalm oder ein gebrochener Zweig. Sie lernte, zwischen den Spuren verschiedener Tiere zu unterscheiden, spürte ihnen nach und schaute, wie und wo sie lebten. Die pflanzenfressenden Tiere ließ sie zwar nicht unbeachtet, aber vornehmlich setzte sie den reißenden Fleischfressern nach.
Ayla achtete auch stets darauf, welche Richtung die Männer einschlugen, wenn sie zur Jagd aufbrachen. Doch nicht Brun und seine Männer machten ihr Sorge. Sie zogen meist hinaus in die offene Steppe, wo Ayla gar nicht zu jagen wagte, weil sich dort außer wenigen Bäumen keinerlei Deckung bot. In Sorge war sie vor allem wegen der beiden alten Männer. Denn beim Kräutersammeln war es früher ab und zu vorgekommen, dass sie Zoug und Dorv gesichtet hatte. Bei diesen beiden war am ehesten zu erwarten, dass sie im gleichen Gebiet jagen würden wie sie selbst. Ständig musste sie auf der Hut sein, ihne n nicht in den Weg zu laufen. Selbst wenn sie die entgegengesetzte Richtung wie die beiden alten Jäger nahm, konnte sie nicht sicher sein, dass Zoug und Dorv nicht einen Bogen schlagen und sie mit der Schleuder in der Hand ertappen würden. Doch als sie es endlich geschafft hatte, schlangengleich über das Gras und durchs Gebüsch zu gleiten, trockene Äste zu vermeiden und Ohren, Augen und Nase zu Frühwarnanlagen auszubilden, da folgte sie auch Zoug und Dorv, um sie zu beobachten und ihnen ihre Fertigkeiten abzuluchsen. Sie war dann immer besonders vorsichtig. Es war gefährlich, aber eine gute Übung. Lautlos, unsichtbar, überall wollte sie sein.
Es gab jetzt Augenblicke, wo Ayla sicher war, ein kleines Beutetier mit ihrer Schleuder erlegen zu können. Manchmal setzte sie zum Schwung an, es reizte Ayla, ihr Selbstgelerntes zu verwirklichen, doch sie gab der Versuchung nicht nach. Sie hatte gelobt, nur auf reißende Tiere Jagd zu machen, und nur dies hatte ihr das Totem gestattet.
Knospen öffneten sich zu Blüten und Blättern, Blüten welkten, und Früchte trieben aus ihnen hervor, hingen grün und bitter in Bäumen und Büschen, und noch immer hatte Ayla kein Tier erbeutet.
"Fort mit dir! Husch! Fort!"
Ayla lief aus der Höhle, um zu sehen, was dieser Stimmenlärm bedeuten sollte. Mehrere Frauen jagten mit
wedelnden Armen einem niedrigen, plumpen, zottigen Tier nach. Der Vielfraß rannte auf die Höhle zu, schlug jedoch knurrend einen Haken, als er Aylas ansichtig wurde. Er tauchte zwischen den Beinen der Frauen hindurch und floh mit einem Fetzen Fleisch im Maul.
"Dieses hinterhältige, gefräßige Biest. Ich habe das Fleisch gerade zum Dörren hinausgelegt", schalt Oga zornig. "Kaum hatte ich mich umgedreht, da kam er auch schon angerannt. Die ganze Zeit streunt er hier herum und jeden Tag wird er unverschämter. Wenn Zoug hier wäre, er würde ihn töten. Gut, dass du gekommen bist, Ayla. Fast wäre er in die Höhle gerannt."
"Das ist ein Weibchen, glaube ich, Oga. Sie hat sicher in der Nähe einen Bau und Junge drin."
"Auch noch Junge! Ein ganzer Wurf!" Harsche, zornige Laute begleiteten ihre aufgebrachte Gebärde. "Zoug und Dorv haben Vorn heute bei Sonnenaufgang mitgenommen. Warum jagen die nicht den Vielfraß, statt immer nur Hamster und Schneehühner? Vielfraße nützen nicht, sie schaden."
"Doch, Oga. Ihr Pelz wird im Winter nicht starr und steif von deinem Atem. Aus ihrem Fell kannst du gute Mützen und Umhänge machen."
Ayla kehrte zum Feuer zurück. Sie wusste, dass es dort nichts für sie zu tun gab; und hatte nicht Iza erst kürzlich geklagt, dass ihr einige Kräuter
Weitere Kostenlose Bücher