Zyklus der Erdenkinder 01 - Ayla und der Clan des Bären
Sie lernte dadurch schneller, und ihre Geschicklichkeit wurde weit mehr gefordert, als wenn sie auf die Jagd nach sanften pflanzenfressenden Tieren gega ngen wäre.
Bald übertraf sie Vorn im Umgang mit der Schleuder. Doch mit ihm verglich sich Ayla längst nicht mehr. Sie maß sich an Zoug, und es dauerte nicht lange, bis sie fast so gut war wie der alterfahrene Jäger, denn sie lernte es allzu rasch. Und zurück blieb die Erfahrung. Sie neigte dazu, sich selbst zu überschätzen.
Begleitet von sengender Hitze und ungestümen Gewittern schritt der Sommer seinem Ende zu. Unerträglich heiß war heute der Tag. Nicht ein Lüftchen regte sich. Am Abend zuvor hatte ein Gewitter mit grellgelbem Wetterleuchten, das die Gipfel der Berge in ein Geisterlicht tauchte, und einem gewalttätigen Hagelschauer die Clan-Leute fluchtartig in die Höhle getrieben. Der Wald dampfte. Schwere weiße Schwaden hingen an Büschen und Bäumen. Buntschillernde Fliegen und Mücken sirrten über den schlammigen, von Wasserlinsen bedeckten Tümpeln, die sich im ausgetrockneten Bachbett gebildet hatten.
Ayla folgte der Spur eines Rotfuchses. Lautlos schlich sie am Rand einer kleinen Lichtung entlang durch den Wald. Ihr war heiß; der Schweiß rann ihr über das Gesicht, und ihre Lust, dem Fuchs zu folgen, verdampfte. Es wäre wohl besser, die Jagd aufzugeben und auf dem Rückweg zur Höhle im Teich zu baden. Als sie durch das bloße, felsige Bachbett sprang, hielt sie da an, wo zwei Felsbrocken das dünne Rinnsal in ein knöcheltiefes Sammelbecken zwangen, und trank in gierigen Zügen.
Als sie sich wieder von den Knien erhob und aufblickte, stockte ihr der Atem. Auf einem Felsvorsprung über ihr kauerte ein Luchs. Seine aufgestellten Pinselohren zuckten. Seine Sehschlitze links und rechts der stumpfen Nase beäugten sie misstrauisch. Sein kurzer Schwanz schlug unruhig hin und her.
Obwohl der Luchs kleiner war als die meisten Großkatzen, besaß er in seinem etwa acht Fuß langen Körper und den kurzen behaarten Pfoten gewaltige Sprungkraft. Er nährte sich von Hasen, Kaninchen, großen Eichhörnchen und anderen nagenden Tieren, konnte aber auch ein Reh reißen, wenn es ihn lockte.
Als Ayla immer noch unverwandt auf die reglos daliegende Katze blickte, wuchs in ihr eine heiße Erregung, die sich vom Herzen bis zum Hirn emporschwang. Hatte Zoug nicht Vorn erklärt, mit der Schleuder wäre auch ein Luchs zur Strecke zu bringen? Auf größere Tiere, hatte er gewarnt, sollte kein Jäger mit der Schleuder gehen, aber mit einein Wolf, einer Hyäne oder einem Luchs könnte man es noch aufnehmen. Ich weiß genau, dass er ›Luchs‹ gesagt hat, bestärkte sich Ayla. Noch nie hatte sie auf diese reißenden Tiere Jagd gemacht. Jetzt lag eines vor ihr. Wenn Zo ug einen Luchs erlegen konnte, dann konnte sie das auch, und hier lag die Gelegenheit, es zu beweisen.
Langsam und vorsichtig schob sie die Hand in eine Tasche ihres kurzen Sommerüberwurfs, ohne dabei die Katze aus den Augen zu lassen. Sie tastete nach dem größten Stein, den sie finden konnte. Ihre Hände waren heiß und feucht. Fest umfasste sie die beiden Enden der Schleuder, während sie den Stein einlegte. Zum Ziel nahm sie sich die Stelle zwischen den Augen des Tieres und schleuderte schnell, ehe sie den Mut verlieren konnte, ihren Stein ab. Der Luchs sah das Wirbeln ihres Armes. Er drehte den Kopf, so dass der Stein ihn seitlich streifte, schmerzhaft, aber ohne ihn verletzt zu haben.
Ehe Ayla auch nur daran denken konnte, nach einem zweiten Stein zu greifen, sah sie, wie die Muskeln im Körper des Tieres sich spannten. Blitzartig, ohne Überlegung, warf sich das Mädchen zur Seite, als der Luchs lossprang. Längelang stürzte Ayla in den Schlamm, und ihre Hand klammerte sich an einen dicken Ast, der irgendwann von Wassern aus dem Gebirge herabgespült worden war. Strudel und Wirbel hatten ihm unterwegs Blätter und Zweige abgerissen. Rasch packte Ayla den schweren, wasserdurchtränkten Stock und schnellte genau in dem Augenblick herum, als das fauchende, zähnestarrende Tier nochmals auf sie lossprang. Mit aller Kraft, die ihr die Angst verlieh, holte Ayla aus und schlug zu. Der wuchtige Schlag traf den Luchs am Kopf; er sackte zusammen, blieb einen Augenblick benommen liegen, schüttelte sich, sprang auf die Beine und machte sich mit weit ausgreifenden, weichen Sätzen davon.
Ayla zitterte am ganzen Körper. Sie setzte sich auf. Ihr Atem ging keuchend. Die Knie waren ihr weich, als
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