Zyklus der Erdenkinder 01 - Ayla und der Clan des Bären
zu flattern, immer dann, wenn die Frauen anhielten, um Nahrung zu sammeln. Oft steckte Iza dem Mädchen eine frische Knospe oder eine zarte junge Wurzel zu, in dessen Kopf dann ein undeutliches Bild erschien von einer anderen Frau, die das gleiche getan hatte. Jetzt aber achtete die Kleine genauer auf die Pflanzen, und ihre Besonderheiten von Farbe, Wuchs und Form fielen ihr auf. Die Hungertage hatten ihr beigebracht, wie wichtig es war, selbst für Nahrung sorgen zu können. Und wenn sie ab und zu auf eine Pflanze wies und die Frau stehen blieb und deren Wurzel ausgrub, klatschte sie in beide Hände. Auch Iza war erfreut. Das Kind begreift schnell, schoss es ihr durch den Kopf, denn vorher konnte es die Pflanzen nicht gekannt haben, sonst hätte es sich davon genährt.
Um die Tagesmitte machten sie Rast, während Brun eine Höhle erkundete. Als die Kleine den Rest der Brühe getrunken hatte, gab ihr Iza einen Streifen des Dörrfleisches, das sie immer bei sich trug. Brun war zurückgekommen; die Höhle taugte nicht zur Wohnstatt.
Später, als die Sonne schon ziemlich tief am Himmel hing, zogen im Bein des Mädchens wieder die Schmerzen hoch. Die Wirkung der Weidenrinde war geringer geworden. Iza tätschelte die Kleine, die nun recht verquengelt war, und schob sie ein wenig höher, so dass sie besser auf der Hüfte zu sitzen kam. Dankbar schlang das Mädchen die mageren Ärmchen um Izas Hals und legte den Kopf auf die breite Schulter der Frau, deren Herz plötzlich warm wurde und schneller schlug. Durch den wiegenden Gang der gleichmäßig ausschreitenden Frau wurde das Menschenbündel schnell in den Schlaf gebracht.
Als dann der Abend kam, wurde Iza diese zusätzliche Last, die sie schon den ganzen Tag mit sich herumgeschleppt hatte, immer beschwerlicher. Sie war froh, das Kind herunterlassen zu können, als Brun das Zeichen zum Haltmachen gab. Die Wangen der Kleinen waren heiß und rot, die Augen glänzten wie im Feuer. Als sie Holz sammelte, hielt Iza Ausschau nach heilkräftigen Pflanzen, mit denen sie das Kind behandeln würde. Sie wusste zwar nicht, wieso verletzte Hautstellen rot wurden und sich dann entzündeten, aber sie wusste sehr wohl, wie man sie und viele andere Leiden behandelte.
Hauptsächlich heilte man die Kranken durch Zauber und mit Hilfe der Geister, was Izas Heilkunst jedoch nicht weniger wirksam machte, die im Laufe von Generationen durch Ausprobieren, Versuchen und die Hilfe des Zufalls angeeignet und verfeinert worden war. Pflanzen, Hölzer, Früchte, Wurzeln, Erde und Gestein bargen mannigfachen Nutzen in sich, wenn man wusste, wie sie zu behandeln waren. Und Iza wusste das. Und sie wusste noch mehr, zum Beispiel, das Innere der Tiere zu erklären und zu sagen, was die Teile taten. Ein Kind noch war Iza, als sie von der Mutter mitgenommen wurde, wenn man Tiere schlachtete und sie dann ausnahm, und ihr die Innereien gezeigt und ihre Aufgabe erklärt wurden.
Doch hatte sie ihrer Tochter damit nur etwas ins Gedächtnis gerufen, was diese bereits wusste. Denn Iza gehörte einem hochgeachteten Geschlecht von Medizinfrauen an, und es war so, dass das Wissen um die Kunst zu heilen auf geheimnisvollen Wegen, die mit Unterweisung nichts zu tun hatten, von der Medizinfrau auf die Töchter überging. Und eine noch unkundige junge Medizinfrau aus einem großen Geschlecht hatte einen höheren Rang als eine erfahrene von mittlerer Abstammung, und das aus gutem Grund.
Iza war mit einem Gedächtnis geboren worden, in dem alles Wissen beschlossen lag, das ihre Ahnen sich erworben hatten, jenes uralte Geschlecht von gewaltigen Medizinfrauen, aus dem Iza hervorge gangen war. Alles Gewusste war von Mutter zu Tochter bis zu ihrer Mutter und dann auf sie gekommen, das nun in ihrem Kopf lag und das sie immer, wenn sie es brauchte, abrufen konnte. Es war nicht viel anders als erinnerte sie sich an Erfahrungen, die sie selbst gemacht hatte; und wenn der Pfad zum Erinnerten einmal geschlagen war, dann wuchs er auch nicht mehr zu. Welche ihrer Erinnerungen aus eigener Erfahrung stammten, erkannte sie vor allem daran, dass sie sich des Ortes, der Zeit, als das Neue ihre Sinne getroffen hatte, entsinnen konnte. Sie vergaß niemals etwas. Aus ihrem Kopf waren jedoch nur Kenntnisse abzurufen, aber nichts war drin in ihm, was Iza sagte, wie sie diese erworben hatte. Und obwohl Iza und ihre Geschwister dieselben Eltern hatten, besaßen weder Creb noch Brun ihr heilkundiges Wissen.
Denn die Fähigkeit der Clan-Leute,
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