Zyklus der Erdenkinder 01 - Ayla und der Clan des Bären
Augen. Sie versuchte, sich einen Mann mit diesem Gesicht vorzustellen. Statt dessen jedoch tauchte Brouds Gesicht vor ihr auf, und blitzartig sah sie klar.
Die Männer der Fremdlinge! So musste es sein! Oda hatte berichtet, einer von ihnen hätte sie genommen. Und danach waren ihre blutenden Tage ausgeblieben. Diese Frau hatte Ura zur Welt gebracht, so wie sie selbst Durc geboren hatte, nachdem es Broud mit ihr gemacht hatte. Jener Mann, dachte sie, war einer der Fremdlinge, und auch ich wurde den Fremdlingen geboren.
Oda und Broud aber wurden dem Clan geboren. Ura ist sowenig mißgestaltet wie Durc. So wie in Durc, so sind in ihr Teile der Fremdlinge und Teile des Clans vereint. Dann hat also doch Brouds männliches Geschlecht meinen Sohn in mich gelegt und nicht der Geist seines Totems.
Aber die anderen Frauen von Odas Clan hatten keine mißgeburtigen Kinder bekommen. Und würde jedesmal ein Kind gezeugt, wenn die Männer bei den Frauen sind, so gäbe es ja dauernd Kinder. Mag sein, dass auch Creb recht hat: Das Totem einer Frau müsse bezwungen werden. Aber bestimmt ist es nicht so, dass die Frau die lebenspendende Kraft des Totems schluckt; diese dringt durch das männliche Geschlecht in sie ein, und dann vermischt sie sich mit der lebenspendenden Kraft des Totems der Frau. Nicht die Männer allein machen ein Kind; auch die Frauen geben das ihre dazu.
Ayla vergrub das Gesicht in ihren Händen. Aber warum gerade Broud? Mein Herz schrie nach einem Kind, mein Höhlenlöwe wusste es, aber Broud ist voller Haß gegen mich. Und gegen mein Kind. Aber wer sonst hätte sich mit mir vermischt? Die anderen Männer finden mich ja häßlich. Broud hat es nur getan, weil er sah, wie heftig ich ihn dabei haßte. Wusste mein Höhlenlöwe, dass Brouds Totem siegen würde? Seine Lebenskraft muß mächtig sein; Oga hat schon zwei Söhne. Auch Brac und Grev müssen durch Broud ins Leben gerufen worden sein wie Durc.
Sind sie somit Geschwister? Brüder? Wie Brun und Creb? Brun muß Broud in Ebras Leib gepflanzt haben. Es kann auch ein anderer Mann gewesen sein. Nein, wohl nicht. Selten geben die Männer der Gefährtin des Clan-Führers das Zeichen. Denn eigentlich ist das unanständig.
Ayla spreizte die Finger und blickte durch die Lücken. Aber wenn Brun Broud gepflanzt hat und Broud Durc gepflanzt hat, wohnt dann in Durc auch etwas von Brun? Und von Brac und Grev? Brun und Creb sind Brüder; sie wurden derselben Mutter geboren. Ist dann Durc auch ein Teil von Creb? Und von Iza? Sie ist Crebs Schwester. Ayla schüttelte plötzlich heftig den Kopf. Das alles war zu verwirrend.
Doch Broud hat Durc in mich gepflanzt, beharrte sie. Hat wohl mein Totem Broud dazu bewegt, mir jenes erste Mal das Zeichen zu geben? Mag sein, dass auch das eine Prüfung war; mag sein, dass es einen anderen Weg nicht gab. Mein Totem muß es vorhergesehen haben. Es wusste, wie brennend mein Wunsch nach einem Kind war und hat mir ein Zeichen gesandt, um mich wissen zu lassen, dass Durc leben würde.
"Ayla", sagte Uba, die Freundin aus ihren Gedanken reißend. "Ich habe eben gesehen, dass Creb und Brun in die Höhle gegangen sind. Die Sonne steht schon tief. Wir müssen den Abendverzehr bereiten. Creb wird hungrig sein."
Durc war eingeschlafen. Er erwachte, als Ayla ihn hochhob, schlief aber bald wieder ein, als er, in sein Fell eingehüllt, an der Brust seiner Mutter lag. Gewiß wird Brun gestatten, dass Ura und Durc zusammengegeben werden, dachte sie, als sie zur Höhle zurückwanderten. Aber was wird aus mir? Werde ich je einen Gefährten finden?
22
Noch einmal musste Ayla Blicke der Bestürzung und des Mißtrauens über sich ergehen lassen, als die letzten beiden Clans eintrafen. Die hochgewachsene, hellhaarige Frau war immer noch eine Sehenswürdigkeit für die nahezu zweihundertfünfzig Erdlinge, die sich mittlerweile zum Großen Miething eingefunden hatten. Wo Ayla ging und stand, fiel sie auf; jede ihrer Handreichungen wurde mehr oder weniger verstohlen beobachtet. Doch so fremd sie auch wirkte, an ihrem Verhalten war nichts, was gegen die Sitten verstieß. Ayla bemühte sich nach Kräften, niemandem Anlaß für Unmut zu geben.
Sie lachte nicht und lächelte nicht. Sie vergoß keine Tränen. Sie zeigte keinen Frohsinn und kein Wehleiden. Sie erlaubte sich weder weit ausholende, weichfedernde Schritte noch freien lockeren Armschwung. Sie bot ein Bild clanmäßiger Frauentugend, und allmählich gewöhnten sich die Clan-Leute an sie und wandten ihre
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