Zyklus der Erdenkinder 01 - Ayla und der Clan des Bären
gefaßt, nahm sie den Säugling aus dem Fell und legte ihn Ayla in die Arme. Die junge Frau riß weit die Augen auf. Ura war noch sehr klein - seit dem Gebären konnte nicht viel mehr als ein Mond vergangen sein -, aber sie sah aus wie Durc. Sie hatte so viel Ähnlichkeit mit Durc, dass sie seine Schwester hätte sein können. Odas Kind hätte das ihre sein können!
Ayla wollte es nicht glauben. Wie konnte eine Frau, die dem Groß-Clan angehörte, ein Kind haben, das aussah wie das ihre? Sie hatte geglaubt, Durc sähe anders aus, weil sich in ihm ein Teil von ihr und ein Teil vom Clan vereinigt hatten, doch Creb und Brun mussten wohl recht gehabt haben. Durc war nicht anders, er war mißgestaltet; so wie Odas Kind mißgestaltet war. Ayla war so außer sich, dass sie nur still und stumm dasitzen konnte.
Schließlich wandte sich Uba an die andere Frau.
"Dein Kind sieht aus wie Durc, Oda."
"Ja", bestätigte sie. "Ich war verwundert, als ich Aychas Kind sah. Das hat mich veranlaßt, zu euch zu kommen. Ich wollte sehen, ob das Kleine ein Junge oder ein Mädchen ist."
"Warum wolltest du das sehen?" fragten Aylas Hände.
Oda blickte auf das Kind in Aylas Schoß.
"Meine Tochter ist mißgestaltet", bedeutete sie, ohne Ayla anzusehen. "Ich hatte Angst, sie würde niemals einen Gefährten finden, wenn sie erwachsen wird. Gibt es einen Mann, der eine so mißgestaltete Frau zur Gefährtin nimmt?" Odas Augen blickten flehend, als sie Ayla endlich ansah. "Als ich dein Kind gewahrte, erwachte Hoffnung in mir. Auch für deinen Sohn wird es nicht leicht sein, eine Gefährtin zu finden."
Ayla hatte an eine Gefährtin für Durc noch gar nicht gedacht. Oda hatte aber recht, es würde ihm gewiß schwerfallen, eine Gefährtin zu rinden. Und jetzt war ihr klar, warum Oda sich ihnen genähert hatte.
"Ist deine Tochter heil?" wollte sie wissen. "Kräftig?"
Oda blickte auf ihre Hände nieder, ehe sie diese wieder hob, um zu antworten.
"Das Kind ist dünn, aber alles ist dran. Das Kind hat einen schwachen Hals, aber er wird jetzt kräftiger."
Ayla sah sich das Kleine genauer an und warf dann der Frau einen fragenden Blick zu, ehe sie das Kind aus seinen Hüllen schälte. Es war stämmiger gebaut als Durc, den Kindern des Clans ähnlicher von der Gestalt her, aber die Knochen waren zarter. Es hatte die gleiche hohe Stirn, den gleichen zu kurz geratenen Hinterkopf; nur die Brauenwulste waren weniger stark ausgebildet; die Nase war klein, aber man konnte schon jetzt sehen, dass das Kind den kinnlosen Kiefer der Erdlinge bekommen würde. Der Hals des kleinen Mädchens war kürzer als der von Durc, aber länger als gewöhnlich bei den Säuglingen des Clans. Ayla hob das kleine Mädchen hoch und schob ihm die Hand unter den Kopf. Sie sah, wie der Säugling sich mühte, den Kopf zu heben, und machte zu Oda eine beruhigende Gebärde.
"Ihr Hals wird kräftiger werden, Oda. Durcs war noch schwächer, als ich ihn gebar, und sieh ihn dir jetzt an."
"Glaubst du?" gab Oda zurück. "Ich bitte dich, die du die Medizinfrau des obersten aller Clans bist, dieses Mädchen als Gefährtin deines Sohnes anzunehmen."
"Ich glaube, Ura wäre bestimmt eine gute Gefährtin für Durc."
"Dann bist du bereit, dich mit deinem Gefährten zu beraten?"
"Ich habe keinen Gefährten", antwortete Ayla. "Dann steht Unglück über deinem Sohn", gab Oda enttäuscht zurück. "Wer soll ihn unterweisen, wenn du keinen Gefährten hast?"
"Es steht kein Unglück über meinem Sohn", widersprach Ayla mit Entschiedenheit. "Nicht alle Kinder, die gefährtenlosen Frauen geboren werden, sind vom Unglück verfolgt. Ich teile des Mog-urs Feuer. Er jagt nicht, aber Brun selbst hat gelobt, meinen Sohn zu unterweisen. Er wird ein guter Jäger werden und ein guter Nährer. Auch hat er ein Jagdtotem. Der Mog- ur hat uns offenbart, dass es der Grauwolf ist."
"Ich wünsche von Herzen, dass du recht hast", gab ihr Oda zu verstehen. "Unser Mog- ur hat Uras Totem noch nicht offenbart, aber ein Grauwolf ist stark genug, jedes Frauentotem zu bezwingen."
"Nicht Aylas", warf Uba mit rascher Gebärde ein. "Ihr Totem ist der Höhlenlöwe. Sie wurde erwählt."
"Wie konnte es geschehen, dass du ein Kind bekamst?" Odas Gesten verrieten ihre Verwunderung. "Mein Totem ist der Hamster, doch er hat diesmal heftig gekämpft. Als ich meine erste Tochter trug, hatte ich es nicht so schwer."
"Auch ich hatte es schwer, als ich Durc trug. Hast du noch eine Tochter? Ist sie heil und wohlgestaltet?"
"Sie war wohlgestaltet, ja.
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