Zyklus der Erdenkinder 01 - Ayla und der Clan des Bären
Aber nun ist sie im Schattenreich", bedeutete Oda bedrückt.
"Und darum durfte Ura leben? Es verwundert mich, dass du sie behalten durftest", gab Ayla zurück.
"Ich hatte nicht den Wunsch, sie zu behalten. Mein Gefährte befahl es so. Es ist meine Strafe", bekannte Oda mit zögernder Hand.
"Deine Strafe?"
"Ja", nickte Oda. "In meinem Herzen wünschte ich mir eine Tochter, aber mein Gefährte wünschte einen Sohn. Ich trug noch meine tote Tochter im Herzen. Ich wünschte mir ein Kind, das ihr gleich sein sollte. Mein Gefährte meinte, das Kind sei mißgestaltet, weil Unrecht in meinem Herzen war, als ich es trug. Er meinte, hätte ich einen Sohn gewünscht, so wäre das Kind wohlgestaltet geworden. Er zwang mich, das Kind zu behalten. Jeder sollte sehen, dass ich keine gute Frau bin. Aber er hat mich nicht verstoßen. Denn kein anderer wollte mich haben."
"In meinen Augen bist du keine schlechte Frau, Oda." Mitleid stand in Aylas Gesicht. "Iza wünschte sich ein Mädchen, als sie Uba trug. Sie hat mir anvertraut, dass sie ihr Totem an jedem Tag um ein Mädchen bat. Wie ist deine erste Tochter umgekommen?"
"Sie wurde von einem Mann getötet." Odas Gesicht lief rot an. "Er sah aus wie du, Aycha. Es war ein Mann, der zu den Fremdlingen gehörte."
Ein Mann, der zu den Fremdlingen gehörte? dachte Ayla. Ein Mann, der aussieht wie ich? Kälte kroch ihr den Rücken hinauf und ihr war, als sträubten sich ihr die Haare. Sie sah in Odas schamrotes Gesicht.
"Iza hat mir gesagt, dass ich den Fremdlingen geboren wurde, Oda, aber ich weiß nichts mehr von ihnen. Ich kenne sie nic ht. Ich gehöre jetzt zum Clan des Bären", bedeutete sie ermutigend. "Wie ist es denn geschehen?"
"Wir waren auf der Jagd, einige Frauen und die Männer. Unser Clan hat seine Höhle in der rauen, kalten Gegend, wo der Schnee früh kommt und spät schmilzt. Jenes Mal zogen wir weiter fort als je zuvor. Die Männer verließen bei Sonnenaufgang das Jagdlager. Wir blieben zurück, um Holz zu sammeln für ein Feuer. Da stürmten unversehens die fremden Männer in unser Lager. Sie wollten uns nehmen, aber gaben uns nicht das Zeichen, sondern stürzten sich sofort auf uns. Ich konnte nicht einmal mein Kleines aus dem Tragfell nehmen. Der Fremdling, der mich packte, riß mir alles vom Leib. Mein Kleines fiel zur Erde, aber er sah es nicht."
"Nach ihm", fuhr Oda erregt fort, "wollte mich noch ein anderer Mann nehmen, aber einer sah mein Kind. Der hob die Kleine auf und gab sie mir, doch sie lebte nicht mehr. Sie war mit dem Kopf auf einen Stein geschlagen, als sie herunterfiel. Da spie der Mann, der sie gefunden hatte, viele laute Geräusche aus seinem Mund, und sie gingen alle fort. Und als die Jäger zurückkehrten, zeigten wir ihnen, was geschehen war, und sie kehrten wie der Wind mit uns zur Höhle zurück. Mein Gefährte war gut zu mir; auch er trauerte um meine Tochter. Und in mein Herz zog wieder Freude ein, als ich sah, dass mein Totem so bald, nachdem ich das Kind verloren hatte, wieder bezwungen worden war. Ich musste mich nicht einmal absondern, weil ich nicht die Tage hatte. Ich glaubte, mein Totem schmerzte es, dass ich mein Kind verloren hatte. Ich glaubte, es wollte mir ein anderes geben. Und darum bat ich um ein Mädchen. Aber das hätte ich nicht tun sollen."
"Mein Herz leidet mit dir", versicherte Ayla der anderen ClanFrau. "Niemals möchte ich Durc verlieren. Ich will mich an den großen Mog-ur wenden, was Ura angeht. Er wird sich mit Brun beraten. Er ist meinem Sohn zugeneigt. Auch Brun wird einverstanden sein, glaube ich."
"Ich will es dir danken, und ich gelobe, sie gut aufzuziehen, Aycha. Sie wird eine gute Frau, nicht wie ihre Mutter. Bruns Clan hat den höchsten Rang; gewiß wird mein Gefährte sich nicht widersetzen. Wenn er weiß, dass Ura in Bruns Clan einen Platz findet, wird er mir vielleicht nicht mehr so heftig zürnen. Immer hält er mir vor Augen, dass meine Tochter nur eine Last sei und niemals Ansehen genießen wird."
"Ich will zum Mog-ur gehen", versprach Ayla nochmals.
Nachdem Oda gegangen war, war Ayla still und in sich gekehrt. Uba spürte, dass sie mit sich allein sein wollte, und störte sie nicht.
Die Fremdlinge, dachte Ayla, wer sind die Fremdlinge? Iza hat gesagt, ich wäre ihnen geboren worden, aber wie kommt es, dass ich nichts mehr von ihnen weiß? Ich weiß nicht einmal mehr, wie sie aussehen. Wo leben sie? Wie sehen die Männer der Fremdlinge aus? Ayla kam wieder das Wasserspiegelbild ihres eigenen Gesichts vor
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