Zyklus der Erdenkinder 01 - Ayla und der Clan des Bären
Mog- ur war ihrer stieläugigen Anteilnahme gewahr und machte sie sich zunutze. Mit langsamen, gemessenen Bewegungen tauchte er wieder den Finger in den roten Korb und zog dann einen der allmählich verheilenden Kratzer auf Aylas Bein nach.
Was kann das wohl bedeuten? Was ist das für ein Totem? Die Clan-Leute schauten sie fragend an. Wieder tauc hte der Zaubermann seinen Finger ein und zog den nächsten Kratzer nach. Das Mädchen spürte, wie Iza zu zittern begann. Keiner der anderen rührte sich mehr; nicht einmal der rasselnde Atem Zougs war zu vernehmen. Bei der dritten Linie versuchte Brun, mit einem grollenden Murren des Mog- urs Blick auf sich zu ziehen, doch der Zauberer mied das Auge des Clan-Führers. Als die vierte Linie gezogen war, war es offen vor aller Augen gedeutet, aber keiner wollte es glauben. Der Mog- ur drehte nun den Kopf und sah Brun ins Gesicht, als er die Hand erhob.
"Geist des Höhlenlöwen, das Mädchen Ayla ist in deinen Schutz gegeben."
Damit war jeder Zweifel ausgeschlossen. Als der Mog-ur Ayla das Amulett um den Hals legte, flogen die Hände der ClanLeute in ungläubiger Bestürzung hin und her, überschlugen sich beinahe. Konnte ein Mädchen, ein vorher fremdes Mädchen auch noch, eines der stärksten Totems der Männer haben, den Höhlenlöwen?
Crebs Blick, der sich in die zornigen Augen seines Bruders bohrte, war ruhig und fest. Einen Augenblick lang waren sie in stummem Zweikampf verklammert. Doch der Mog-ur wusste, dass dem Mädchen der Höhlenlöwe als Totem bestimmt war, auch wenn es noch so unannehmbar schien, dass eine Frau den Schutz eines so mächtigen Geistes genießen sollte. Der Mog- ur hatte nur bekräftigt und nachvollzogen, was der Höhlenlöwe selbst getan hatte.
Nie zuvor hatte Brun die Offenbarungen seines verkrüppelten Bruders in Zweifel gezogen; aus irgendeinem Grund jedoch fühlte er sich von dem Zauberer überlistet. Dennoch musste er sich eingestehen, noch nie erlebt zu haben, dass die Offenbarung eines Totems so greifbare Bestätigung gefunden hatte. Er war der erste, der seinen Blick aus dem Auge des Bruders zurückzog.
Es war schwer genug gewesen, sich mit der Aufnahme des fremdartigen Kindes in den Clan abzufinden; doch dass es ein solches Totem hatte, das ging zu weit. Das war etwas Nie dagewesenes; etwas, was nicht in sein Bild von einem wohlgeordneten Clan passte, erzeugte ein Unbehagen in Brun. Knurrend biss er die Zähne aufeinander. Keine Ausnahmen mehr! Wenn das Mädchen also Mitglied seines Clans sein sollte, dann musste es sich nach ihm richten, ob nun der Höhlenlöwe sein Totem war oder nicht.
Iza war wie vom Donner gerührt. Das Kind noch immer in ihren Armen, verneigte sie sich vor dem Mog-ur; wenn er es bestimmte, dann musste es so sein. Sie wusste, dass Ayla ein starkes Totem hatte, aber den Höhlenlöwen? Dieses Bild machte ihr Angst. Eine Frau, deren Totem die mächtigste aller Katzenarten war? Für Iza lag es auf der Hand, dass das Mädchen niemals einen Gefährten bekommen würde. Und das festigte sie in ihrem Entschluss, Ayla in der Heilkunst zu unterweisen, damit sie sich aus eigener Kraft einen Rang erwerben konnte. Während sie das Kind gehalten, hatte Creb ihm einen Namen gegeben und ihm sein Totem offenbart. Und war es dadurch nicht auch ihre Tochter geworden? Also - sie konnte den Gedanken noch kaum fassen - was wäre, wenn weiter alles gut ging und sie in kurzer Zeit schon wieder mit einem Kind in den Armen vor dem Za uberer stehen würde? Sie, die solange kinderlos gewesen war, würde bald zwei Kinder haben!
Im Clan brodelte es. Stimmen und wirbelnde Hände verrieten hitzige Erregung. Befangen kehrte Iza an ihren Platz zurück, begleitet von den staunenden Blicken der Männer und Frauen. Sie bemühten sich, wie es der Brauch war, die neue Mutter und das Kind nicht anzustarren. Ein Mann aber machte sich keine Mühe, seinen Blick zu verhüllen.
Das Feuer des Hasses in Brouds Augen, als er das kleine Mädchen anfunkelte, erschreckte Iza. Sie versuchte, sich zwischen die beiden zu stellen, um Ayla vor dem stechenden Blick des jungen Jägers zu schützen. Broud musste erleben, dass er nicht mehr Anlass der Aufmerksamkeit aller war, keiner würdigte ihn denn auch nur eines Blickes. Verdrängt war seine große Tat, die den Einzug in die Höhle möglich gemacht hatte; verdrängt waren sein großartiger Kampf und seine unerschütterliche Tapferkeit, als der Mog-ur ihm das Zeichen seines Totems in die Brust geritzt hatte. Die Schmiere
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