Zyklus der Erdenkinder 02 - Ayla und das Tal der Pferde
ihrem dahingaloppierenden Pferd. Oft ritten sie über die Steppen östlich des Flusses, die verhältnismäßig leicht zu erreichen waren.
Ayla wußte, daß sie bald sammeln und jagen und die gefundene und erlegte Nahrung verarbeiten und lagern mußte, um für die nächste schwere Jahreszeit gewappnet zu sein. Aber im Vorfrühling war die Erde immer noch dabei, vom langen Winterschlaf zu erwachen, und so war der Tisch der Natur noch nicht so reichlich gedeckt. Ein paar frische grüne Schößlinge brachten Abwechslung in die Trockennahrung des Winters, doch bis jetzt waren weder Wurzeln noch Knospen geschwollen, noch hatten abgemagerte Schenkel wieder Fett angesetzt. Ayla nutzte die ihr auferlegte Muße dazu, so oft wie möglich mit dem Pferd auszureiten, an den meisten Tagen vom frühen Morgen an bis zum späten Abend.
Zuerst ritt sie einfach, ließ sich tragen, wohin Winnie wollte, saß einfach passiv auf ihrem Rücken. Es kam ihr gar nicht in den Sinn, das Pferd lenken zu wollen; die Signale, die Winnie erkennen gelernt hatte, waren visuelle Zeichen – Ayla versuchte nicht, sich nur mit Worten verständlich zu machen – und die konnte sie nicht sehen, wenn die Frau auf ihrem Rücken saß. Doch für die Frau hatte Körpersprache stets genauso zum Sprechen dazugehört wie bestimmte Gebärden, und das Reiten gestattete einen sehr innigen Körperkontakt.
Nachdem sie sich zuerst wundgeritten hatte, fing Ayla an, das Muskelspiel des Pferdes zu bemerken, und nach gewissen Anpassungsschwierigkeiten spürte Winnie, wie die Frau auf ihrem Rücken sich verkrampfte und entspannte. Beide hatten bereits die Fähigkeit entwickelt, Wünsche und Bedürfnisse des anderen zu erkennen; außerdem war der Wunsch in ihnen vorhanden, darauf einzugehen. Wenn Ayla in eine bestimmte Richtung wollte, lehnte sie sich, ohne es zu wissen, in eben diese Richtung vor, und die Veränderungen in ihren Muskeln vermittelten das weiter an das Pferd. So fing das Pferd an, auf Spannung und Entspannung der Muskeln seiner Reiterin zu reagieren, indem es eine andere Richtung oder eine andere Gangart einschlug. Und da das Tier auf kaum wahrnehmbare Bewegungen reagierte, wurde Ayla wiederum dazu gebracht, diese Muskeln auf eben diese Weise anzuspannen oder lockerzulassen, wenn sie wollte, daß Winnie wieder so reagierte.
Es handelte sich um eine Zeit wechselseitigen Trainings, in der beide voneinander lernten, was wiederum zur Folge hatte, daß ihre wechselseitige Beziehung sich vertiefte. Freilich, ohne es zu merken, war es Ayla, die in dieser Beziehung den Ton angab. Die Signale zwischen Frau und Pferd waren so fein und der Übergang von passiver Hinnahme bis zu aktiver Anweisung so natürlich, daß er Ayla anfangs gar nicht auffiel, höchstens auf einer höheren Ebene. Das ständige Reiten wurde zu einem Intensivkurs, und als ihre Beziehung immer inniger wurde, paßten Winnies Reaktionen sich auf so wunderbare Weise an, daß Ayla nur noch daran zu denken brauchte, wohin sie in welcher Geschwindigkeit wollte, und Winnie reagierte darauf, gleichsam als wäre das Tier eine Verlängerung ihres eigenen Körpers. Die junge Frau erkannte nicht, daß sie Signale durch Nerven und Muskeln auf die hochempfindliche Haut ihres Reittiers übermittelte.
Ayla hatte nicht vorgehabt, Winnie auszubilden. Das Training war das Ergebnis der Liebe und Aufmerksamkeit, die sie dem Tier entgegenbrachte, und der angeborenen Unterschiede zwischen Pferd und Mensch. Winnie war neugierig und klug, konnte lernen und hatte ein gutes Gedächtnis; dennoch war ihr Gehirn nicht so entwickelt wie das Aylas, und es war auch anders organisiert. Pferde waren gesellige Wesen, die normalerweise in Herden zusammenlebten und auf die Nähe und Wärme von Mitgeschöpfen angewiesen waren. Ihr Tastsinn war besonders ausgeprägt und spielte eine hervorragende Rolle bei der Herstellung einer persönlichen Beziehung. Der Instinkt der Jungstute brachte sie dazu, den Anweisungen zu folgen, wohin sie gelenkt wurde. Wenn sie in Panik gerieten, flohen sogar Leittiere mit dem Rest der Herde.
Was die Frau tat, wurde von einem Gehirn gelenkt, in dem Voraussicht und Analyse ständig mit Wissen und Erfahrung in Interaktion traten. Ihre verwundbare Stellung sorgte dafür, daß ihre Überlebensreflexe nie einschliefen, und zwangen sie dazu, sich ständig ihrer Umgebung bewußt zu sein; beides wiederum beschleunigte den Prozeß der Ausbildung des Pferdes. Der Anblick eines Hasens oder auch eines Riesenhamsters,
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