Zyklus der Erdenkinder 02 - Ayla und das Tal der Pferde
Innenseite einer ihrer Tragkörbe geschmiegt, hatte sie eine große Grasmatte mitgebracht. Diese entrollte sie jetzt auf dem Boden und schob ächzend und stöhnend das Rentier darauf. Dann legte sie die Matte um das tote Tier und verschnürte es mit Stricken, die sie wiederum mit denen von Winnies Zuggeschirr verband. Sie packte ein zweitesmal die Körbe um, steckte in jeden einen Speer und sorgte dafür, daß diese nicht hinausrutschen konnten. Dann erst, einigermaßen zufrieden mit sich selbst, kletterte sie wieder aufs Pferd.
Als sie sich zum drittenmal gezwungen sah abzusteigen und die Last, die Winnie hinter sich herschleifte, von Hindernissen wie Grasbüscheln, größeren Steinen und Strauchwerk zu befreien, war sie schon nicht mehr so zufrieden. Schließlich ging sie neben der Stute her und trieb sie an, bis das Ren wieder an irgend etwas festsaß, woraufhin sie nach hinten ging, um das Hindernis zu beseitigen. Erst als sie stehenblieb, um ihre Füßlinge wieder überzuziehen, bemerkte sie, daß ein Rudel Hyänen ihr folgte. Die ersten Steine, die sie mit ihrer Schleuder auf sie abfeuerte, zeigte den verschlagenen Aasfressern, bis auf wie weit sie sich ungestraft nähern durften.
Stinkende, häßliche Tiere, dachte sie, krauste die Nase und erschauerte vor Ekel. Sie wußte, daß die Hyänen auch jagten – wußte das nur allzu gut. Einmal hatte Ayla ja einen solchen Aasfresser mit ihrer Schleuder erlegt – und damit ihr Geheimnis verraten. Von da an wußte der Clan, daß sie jagte, und sie hatte dafür bestraft werden müssen. Brun hatte keine andere Wahl gehabt; so war es nun einmal beim Clan Sitte und Brauch.
Auch Winnie fühlte sich durch die Hyänen beunruhigt. Dabei ging es um mehr als um ihre instinktive Furcht vor Raubtieren. Sie hatte niemals jenes Hyänenrudel vergessen, das sie angegriffen hatte, nachdem Ayla ihre Mutter getötet hatte. Außerdem war Winnie gereizt genug. Das tote Ren zu ihrer Höhle zu schaffen erwies sich für Ayla als ein größeres Problem, als sie vorausgesehen hatte. Hoffentlich schafften sie es noch, ehe die Nacht hereinbrach.
An einer Stelle, wo der Fluß sich wieder seinem eigenen Lauf näherte, machten sie eine Pause. All diese Pausen und der damit verbundene Neubeginn waren ermüdend. Ayla füllte ihren Wasserschlauch und einen großen wasserdichten Korb, mit Wasser. Letzteren trug sie dann zu Winnie, die immer noch an das inzwischen wieder schmutzig gewordene Rentier angespannt war. Sie holte einen Fladen Reiseproviant heraus und setzte sich auf einen Stein, um zu essen. Dabei starrte sie zu Boden, ohne eigentlich etwas wahrzunehmen und nur damit beschäftigt, darüber nachzudenken, ob es nicht eine leichtere Art gab, ihre Beute in ihr Tal zu schaffen. So dauerte es eine Weile, ehe sie merkte, daß der Boden vor ihr aufgewühlt war, doch als das in ihr Bewußtsein drang, erregte das ihre Neugier. Das ganze Erdreich war zerstampft, das Gras niedergetreten, und die Spuren waren frisch. Vor kurzer Zeit mußte es hier zu einer großen Aufregung gekommen sein. Sie stand auf, um sich die Fährten genauer anzusehen, und reimte sich dann nach und nach zusammen, was sich abgespielt hatte.
Den Spuren im getrockneten Schlamm in Ufernähe entnahm sie, daß dies hier das angestammte Revier eines Rudels Höhlenlöwen war. Sie vermutete, daß es hier irgendwo ein kleines Tal mit nackten Felswänden und einer gemütlichen Höhle geben müsse, in der die Löwin früher im Jahr ein Paar gesunder Junge zur Welt gebracht hatte. Hier nun mußte ihr Lieblingsruheplatz sein. Die jungen Löwen hatten sich spielerisch um einen Brocken blutiges Fleisch gebalgt und mit ihren weichen Milchzähnen kleine Fetzen davon losgerissen, während die gesättigten männlichen Löwen sich in der Morgensonne geaalt und die schlanken Löwinnen nachsichtig über das Spiel ihrer Jungen gewacht hatten.
Die gewaltigen Raubkatzen waren unumstrittene Herren in ihrem Revier. Sie hatten nichts zu fürchten und keinen Grund anzunehmen, daß sie etwa einmal von ihren Beutetieren angegriffen werden würden. Normalerweise hätten Rentiere sich niemals in so große Nähe ihrer natürlichen Feinde verirrt, nur hatte die gellend schreiende Frau auf dem Pferderücken die ganze Herde von Panik ergreifen und in alle Winde auseinanderstieben lassen. Sie hatten sich in die Fluten gestürzt, um das andere Ufer zu erreichen, und ehe sie sich versahen, waren sie mitten in einem Löwenrudel gelandet. Löwen wie Rentiere waren
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