Zyklus der Erdenkinder 02 - Ayla und das Tal der Pferde
habe, müßte gehen. Ich habe noch davon.
Ayla pfiff nach dem Pferd. Erstaunlicherweise verhakte sich die Last, die die Jungstute hinter sich herschleifte, diesmal an nichts. Nur Winnie selbst war erregt. Es ging ihr wider den Strich, im Löwen-Revier zu sein; Pferde gehörten zu den natürlichen Beutetieren der Höhlenlöwen. Schon seit Beginn der Jagd war sie nervös, und alle Augenblicke stehenzubleiben, um irgendein Hindernis zu beseitigen, das sich vor die schwere Last gelegt hatte, war nicht gerade geeignet gewesen, sie zu beruhigen.
Doch Ayla, die sich jetzt ganz auf das Löwenjunge konzentrierte, kümmerte sich nicht um die Bedürfnisse des Pferdes. Nachdem sie den jungen Löwen bandagiert hatte, fiel ihr nichts anderes ein, als ihn Winnie auf den Rücken zu legen, damit sie ihn in die Höhle trug.
Doch das war zuviel für das Pferd. Als die Frau die riesige junge Raubkatze hochhob, um sie ihm auf den Rücken zu laden, stieg Winnie. Von Panik ergriffen, bockte sie und keilte hinten aus und versuchte, sich von den sie hemmenden Lasten zu befreien. Dann sprengte sie über die Steppe davon. Das in die Grasmatte eingewickelte Rentier holperte und sprang hinter dem Pferd her, verfing sich dann jedoch an einem Felsen. Das vergrößerte Winnies Panik jedoch nur noch, und wieder bockte sie und keilte aus.
Plötzlich rissen die Lederriemen, es gab einen Ruck, und die Tragkörbe, die durch die langen Speere Übergewicht bekommen hatten, kippten. Offenen Munds vor Verblüffung sah Ayla zu, wie das völlig überdrehte Pferd in wilden Fluchten davonjagte. Der Inhalt der Tragkörbe wurde überall verstreut – nur die Speere saßen fest in ihren Halterungen, schleiften mit der Spitze nach unten am Boden und behinderten das Pferd nicht im geringsten in seiner Geschwindigkeit.
Ayla erkannte die Möglichkeiten augenblicklich – sie hatte sich den Kopf über eine Möglichkeit zerbrochen, das tote Rentier und das Löwenjunge in ihre Höhle zu schaffen. Jetzt darauf zu warten, daß Winnie sich wieder beruhigte, erforderte einige Zeit. Da Ayla befürchtete, Winnie könnte sich verletzen, pfiff und rief sie nach ihr. Sie wollte hinterher, hatte jedoch Angst, ihre Jagdbeute und das Löwenjunge den Hyänen zu überlassen. Das Pfeifen tat seine Wirkung. Der Pfeifton war etwas, was Winnie mit Zuneigung und Sicherheit in Verbindung brachte. Einen weiten Bogen schlagend, kam sie zu der Frau zurückgetrabt.
Als das völlig ausgepumpte und schaumbedeckte Pferd schließlich näherkam, konnte Ayla es nur erleichtert in die Arme schließen. Sie befreite es von Zuggeschirr und Traggurt und untersuchte Winnie sorgfältig, um festzustellen, daß ihr auch wirklich nichts passiert sei. Winnie lehnte sich an die Frau, schnaubte bekümmert mit gespreizten Vorderbeinen, atmete schwer und flog am ganzen Leib.
»Ruh’ du dich aus, Winnie«, sagte Ayla, als das Pferd aufhörte zu zittern und sich zu beruhigen schien. »Ich hab sowieso noch zu tun.«
Es kam der Frau überhaupt nicht in den Sinn, wütend zu sein, weil das Pferd gebockt hatte, fortgelaufen war und all ihre Sachen verstreut hatte. Das Pferd war für sie nichts, was ihr gehörte oder dem sie einfach befehlen konnte. Winnie war für sie vielmehr eine Freundin, eine Gefährtin. Wenn sie in Panik geriet, hatte sie dafür gute Gründe. Es war einfach zuviel von ihr verlangt worden. Ayla spürte, daß sie die Grenzen dessen erfahren müsse, was Winnie für sie tun konnte, und nicht versuchen sollte, ihr ein besseres Benehmen beizubringen. Für Aylas Begriffe half Winnie ihr aus freien Stücken, kümmerte sie selbst sich aus Liebe um das Pferd.
Die junge Frau sammelte von den Sachen, die aus den Körben herausgefallen waren, ein was sie fand, und dann nahm sie am Gurt für die Tragkörbe einige Veränderungen vor. Die Speere befestigte sie so in den Halterungen, wie sie – die Enden nach unten – über den Boden geschleift waren. Die Grasmatte, in die das Rentier eingewickelt worden war, befestigte sie zwischen den beiden Speerschäften, so daß sich eine Art Traggestell ergab – hinter dem Pferd und über dem Boden. Darauf zurrte sie das tote Ren fest und hinterher, besonders sorgfältig, das Löwenjunge, das immer noch nicht zu sich gekommen war. Nachdem sie sich entspannt hatte, schien Winnie Gurte und Zuggeschirr bereitwilliger anzunehmen und stand ruhig da, während Ayla hier und da noch etwas veränderte.
Nachdem die Tragkörbe aufgelegt und festgemacht waren, untersuchte
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