Zyklus der Erdenkinder 02 - Ayla und das Tal der Pferde
hätte es nicht
wechselseitige Bedürfnisse gegeben, die sie dazu brachten,
bestimmte Ansprüche aneinander zu stellen und die sie
zusammengehalten hatten.
Die Shamudoi hatten ein Verfahren entwickelt, aus
Gamshäuten wunderschönes samtig-geschmeidiges Leder
herzustellen. Dieses Leder war so einzigartig, daß weiter entfernt
lebende Stämme dieser Region kamen, sie gegen andere Waren
einzutauschen. Bei dem Verfahren handelte es sich um ein
streng gehütetes Geheimnis, doch war Jondalar
dahintergekommen, daß das Öl bestimmter Fischsorten dazu
vonnöten war. Dieser Umstand gab den Shamudoi einen guten
Grund, enge Bande mit den Ramudoi zu unterhalten.
Andererseits wurden Boote aus Eichen gemacht, wobei für
bestimmte Ausrüstungsgegenstände der Boote Buchen- und Fichtenholz benötigt wurde und die langen Planken der Bordwände mit Dübeln aus Eiben- und Weidenholz zusammengehalten wurden. Die Flußleute waren also auf die Kenntnisse von Bäumen und Wäldern der Bergbewohner
angewiesen, wenn sie das richtige Holz finden wollten. Innerhalb des Stammes der Sharamudoi hatte jede ShamudoiFamilie ihr Gegenstück in einer Ramudoi-Familie, mit der sie
ein vielfältiges Netz verwandtschaftlicher Bande, die nicht
unbedingt etwas mit Blutsverwandtschaft zu tun haben mußten,
zusammenhielt. Jondalar war noch nicht hinter alle diese Dinge
gekommen, doch nachdem sein Bruder sich mit Jetamio
zusammengetan hatte, mußte er erleben, wie er plötzlich von
Angehörigen beider Gruppen »Vetter« genannt wurde; das kam
durch Thonolans Gefährtin, obwohl diese keine lebenden
Blutsverwandten hatte. Es wurde erwartet, daß bestimmte
gegenseitige Verpflichtungen erfüllt wurden, wenngleich dies
für ihn kaum mehr bedeutete, als daß er bestimmte Anreden,
die eine gewisse Hochachtung zum Ausdruck brachten,
benutzte, wenn er sich mit seinen neuen Verwandten unterhielt. Als Mann ohne feste Gefährtin stand es ihm immer noch frei
fortzugehen, wenn er wollte; lieber sah man es jedoch, wenn er
blieb. Doch die Bande, welche die beiden Gruppen miteinander
verbanden, waren so stark, daß, wenn zum Beispiel die
Wohnung zu eng wurde und ein oder zwei Shamudoi-Familien
beschlossen, fortzuziehen, um eine neue Höhle zu gründen, ihr
Gegenstück bei den Ramudoi mit ihnen ziehen mußte. Es gab besondere Riten, um Bande auszutauschen, wenn das
Gegenstück der Familie in der anderen Gruppe nicht mitziehen
wollte, eine andere Familie aber wohl. Im Prinzip konnten
jedoch die Shamudoi darauf bestehen, daß die Ramudoi
mitkamen, und diese waren dazu verpflichtet, es zu tun; denn wo es um Dinge ging, die mit dem Land zu tun hatten, besaßen die Shamudoi das Entscheidungsrecht. Allerdings waren die Ramudoi nicht ganz ohne Druckmittel. So konnten sie sich zum Beispiel weigern, ihre Shamudoi-Verwandten zu transportieren oder ihnen zu helfen, nach einer passenden Wohngelegenheit zu suchen; denn Entscheidungen, die mit Wasser zu tun hatten, lagen bei ihnen. In der Praxis wurden größere Entscheidungen, wie zum Beispiel über einen Wegzug, gemeinsam getroffen. Sowohl im praktischen als auch im rituellen Bereich hatten sich zusätzliche Bande entwickelt, um die Beziehungen zwischen den beiden Gruppen zu stärken; viele davon betrafen die Boote. Obwohl Entscheidungen über auf dem Wasser schwimmende Boote ein Vorrecht der Ramudoi waren, gehörten die Boote selbst den Shamudoi, die folglich – im Verhältnis zu entsprechenden Gegenleistungen – Nutznießer der mit Hilfe der Boote erbrachten Leistungen waren. Die Grundsätze, die man entwickelt hatte, um Streitfragen zu regeln, waren viel verzwickter als die Praxis. Da man sich wechselseitig unausgesprochen einig war und die Rechte, Hoheitsrechte und das besondere fachliche Können des anderen begriff und
achtete, kam es nur äußerst selten zu solchen Streitfragen. Der Bootsbau war das Ergebnis einer Gemeinschaftsarbeit,
und das aus sehr praktischen Gründen; er erforderte nämlich
sowohl die Produkte des Landes als auch das Wissen um das
Wasser, und das gab den Shamudoi einen gültigen Anspruch
auf das von den Ramudoi benutzte Fahrzeug. Das Ritual
verstärkte das Band, denn keine Frau aus der einen
Stammesgruppe konnte mit einem Mann zusammenleben, der
nicht einen solchen Anspruch hatte. So mußte Thonolan erst
beim Bau oder bei der Ausbesserung eines Bootes mithelfen, ehe
er sich mit der Frau zusammentun konnte, die er liebte. Jondalar freute sich gleichfalls auf den Bau des Bootes. Das
ungewöhnliche Fahrzeug hatte
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