Zyklus der Erdenkinder 02 - Ayla und das Tal der Pferde
es ihm angetan; er war neugierig
zu erfahren, wie Boote gebaut wurden und wie man sie
vorwärtstrieb und steuerte. Er wäre lieber aus einem anderen
Grund geblieben, um das herauszufinden; er hätte nicht gleich
bleiben und eine Shamudoi-Frau nehmen wollen wie sein
Bruder. Dabei hatten diese Menschen ihn von Anfang an
brennend interessiert. Die Mühelosigkeit, mit der sie auf dem
großen Strom umherfuhren und den riesigen Stör jagten,
überstieg alles, was er von anderen Stämmen erfahren oder
gehört hatte.
Sie kannten den Fluß in allen seinen Stimmungen. Er selbst
hatte schon Schwierigkeiten, allein die gewaltigen Ausmaße
dieses Wasserweges zu begreifen, ehe er nicht alles Wasser
zusammen gesehen hatte, und dabei hatten die Fluten noch
nicht einmal ihren Höchststand erreicht. Doch wie gewaltig der
Strom war, ließ sich nicht vom Boot aus am besten erkennen.
Im Winter, wenn der Wasserfallweg vereiste und unbenutzbar
wurde, aber noch ehe die Ramudoi zu ihren ShamudoiVerwandten in der Höhe zogen, wurde der Verkehr zwischen
den beiden Gruppen mit Hilfe von Seilen und großen
geflochtenen Plattformen abgewickelt, die über den Rand der
von den Shamudoi bewohnten Terrasse hinübergingen bis
hinunter zum Landesteg der Ramudoi.
Die Wasserfälle waren noch nicht vereist gewesen, als er und
Thonolan hier eingetroffen waren, doch war sein Bruder nicht
in einem Zustand, der es ihm erlaubt hätte, den gefährlichen
Aufstieg von sich aus zu machen. Infolgedessen wurden sie
beide in einem Korb hinaufgezogen.
Als er die Große Mutter zum ersten Mal von dieser luftigen
Höhe aus sah, ging Jondalar allmählich das ganze Ausmaß des Stromes auf. Alles Blut war ihm aus dem Gesicht gewichen; sein Herz schlug ihm bis zum Hals hinauf, so überwältigt war er, als er auf das Wasser und die gerundeten Berge auf der anderen Seite des Flusses hinunterblickte. Ihn erfaßte eine große Ehrfurcht vor der Mutter, deren Geburtswasser in einem
wunderbaren Schöpfungsakt den Fluß hatte entstehen lassen. Er hatte inzwischen längst erfahren, daß es noch einen
längeren, leichteren, aber auch weniger spektakulären Weg zu
der hochgelegenen Terrasse gab – und zwar einen Pfad, der sich
von Westen nach Osten über die Bergpässe hinzog und am
östlichen Ende des Durchbruchs zum breiten Flußbett
hinunterführte. Der Westteil dieses Pfades, der durch das
Hochland und das Vorgebirge heranführte an die
aufeinanderfolgenden Engpässe oder Flußengen, war zwar
unwegsamer, doch zum Teil führte er hinunter bis an den Rand
des Flusses, und auf eine solche Stelle fuhren sie jetzt zu. Das Boot war bereits im Begriff, die Strommitte zu verlassen
und auf eine aufgeregt winkende Gruppe von Menschen
zuzugleiten, die einen Uferstreifen aus grauem Sand
bevölkerten, als ein allgemeines Atemanhalten den älteren
Bruder veranlaßte, sich umzudrehen.
»Jondalar! Schau!« Thonolans ausgestreckter Finger wies
flußaufwärts.
In tückischer Pracht kam in der Mitte des Stromes, wo es am
tiefsten war, ein großer, zerklüfteter und schimmernder Eisberg
heruntergetrieben. Kristallene Facetten der durchsichtigen
Eisränder, in denen sich das Licht brach, verliehen dem
Monolithen einen nebligen Schimmer, der das Eis umgab wie
einen Heiligenschein; doch seine blaugrüne, schattige Tiefe barg
sein ungeschmolzenes Herz. Gekonnt und erfahren veränderten
die das Boot rudernden Männer Richtung und Geschwindigkeit, legten dann die Ruder flach und hielten inne, um die aus schimmernder Kälte gebildete Wand mit tödlicher
Gleichgültigkeit vorübergleiten zu lassen.
»Du darfst der Mutter nie den Rücken zukehren«, hörte
Jondalar einen Mann vor ihm sagen.
»Ich würde sagen, der muß die Schwester heruntergekommen
sein, Markeno«, meinte der neben ihm Sitzende.
»Wie kommen … großes Eis … hierher, Carlono?« fragte
Jondalar ihn.
»Eisberg«, sagte Carlono und nannte das Wort für seine
Ohren zum ersten Mal. »Möglich, daß er von einem dieser sich
immer weiter vorschiebenden Gletscher auf einem der Berge
stammt«, fuhr er fort und wies mit dem Kinn in Richtung auf
die weißen Gipfel über seiner Schulter, denn er hatte das
Rudern wieder aufgenommen. »Möglich aber auch, daß er von
weiter im Norden stammt und die Schwester
heruntergeschwommen ist. Sie ist tiefer als die Mutter,
verzweigt sich nicht in so viele Kanäle – besonders um diese
Jahreszeit. Aber vor allem: An diesem Eisberg ist mehr dran als
du siehst. Der größte Teil liegt unter Wasser.«
»Das ist
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