Zyklus der Erdenkinder 02 - Ayla und das Tal der Pferde
sollte – flößte ihr neuerlich größte Hochachtung ein. Doch wenn er die Antilope den ganzen Wege zurückschleifte, würde die Decke Schaden nehmen. Steppenantilopen waren weit verbreitet und lebten sowohl im Gebirge als auf den Ebenen; nur, allzu zahlreich waren die Herden nicht. Sie hatte noch nie eine erlegt, und so hatte diese eine besondere Bedeutung für sie. Die Steppenantilope war Izas Totem gewesen. Ayla wollte ihre Felldecke haben.
Sie machte die »Aufhörens«-Gebärde. Baby zögerte nur einen Moment, dann ließ er ›seine‹ Beute fahren und umkreiste danach den ganzen Weg zurück in die Höhle Winnie mit dem Zuggestell, um sie zu bewachen.
Interessierter als sonst verfolgte er, wie Ayla der Antilope das Fell abzog und das Gehörn abnahm. Als sie ihm das Tier überließ, schleifte er den ganzen enthäuteten Kadaver bis in seine Nische in der Höhle. Nachdem er sich sattgefressen hatte, blieb er noch eine Zeitlang wach und schlief später ganz in der Nähe.
Ayla war belustigt. Sie begriff, daß er seine Beute bewachte. Er schien das Gefühl zu haben, daß es mit diesem Tier etwas ganz Besonderes auf sich habe. Für Ayla war das nicht anders – wenn auch aus anderen Gründen. Immer noch war sie innerlich aufgewühlt. Die Geschwindigkeit, die Verfolgungsjagd und das Töten waren im höchsten Maße erregend gewesen – doch noch wichtiger war, daß sie eine neue Jagdart gefunden hatte. Mit Winnies und nun auch noch mit Babys Hilfe konnte sie jederzeit, sommers wie winters, auf die Jagd gehen. Sie fühlte sich mächtig und war dankbar – und wußte, daß sie genug Fleisch für Baby heranschaffen konnte.
Aus keinem besonderen Grund sah sie heute nach, ob mit Winnie auch alles in Ordnung sei. Das Pferd hatte sich niedergelegt, völlig unbefangen, trotz der Nähe eines Höhlenlöwen. Als Ayla zu ihr trat, hob sie den Kopf. Die Frau streichelte das Pferd. Sie spürte, daß es das Bedürfnis nach ihrer Nähe hatte, und streckte sich neben ihm aus. Winnie stieß leise schnaubend Luft durch die Nüstern. Sie war froh, die Frau bei sich zu haben.
Im Winter gemeinsam mit Winnie und Baby auf die Jagd zu gehen, ohne mühselig eine Fallgrube graben zu müssen, brachte Spaß. Von Jugend auf – seit sie sich im Umgang mit der Schleuder geübt hatte – war Ayla gern auf die Jagd gegangen. Jede neue Technik, die sie sich angeeignet und gemeistert hatte – Fährtenlesen, das rasch aufeinander folgende Abfeuern zweier Steine, die Fallgrube und der Speer –, verlieh ihr stärker das Gefühl, wirklich etwas erreicht zu haben. Nichts jedoch kam der reinen Freude gleich, wie sie sie empfand, wenn sie zusammen mit dem Pferd und dem Höhlenlöwen jagte. Beide schienen das genauso zu genießen wie sie. Wenn Ayla ihre Vorbereitungen traf, warf Winnie den Kopf in die Höhe und umtänzelte sie mit vorgestellten Ohren und erhobenem Schweif, und Baby schoß immer wieder zur Höhle hinaus und wieder herein und stieß dabei in Erwartung des Kommenden leise Laute des Wohlbehagens aus. Das Wetter machte ihr Sorgen, bis Winnie sie eines Tages durch einen blendenden Schneesturm nach Hause trug.
Für gewöhnlich machte das Trio sich kurz nach Tagesanbruch auf den Weg. Sichteten sie frühzeitig Beute, waren sie häufig schon vor Mittag wieder zurück. Für gewöhnlich folgten sie ihrer Beute solange, bis sie sich im Verhältnis zu ihr in einer vorteilhaften Lage befanden. Dann gab Ayla Baby mit der Schleuder das Signal, und der Löwe schoß eifrig voran. Winnie, die Aylas Drängen spürte, galoppierte hinter ihm her. Und wenn der junge Höhlenlöwe dem von Panik befallenen Tier im Nacken saß – wobei seine Krallen und sein Biß es zum Bluten brachte, wenn auch nicht tötete –, dauerte es meistens nicht lange, bis das herangaloppierende Pferd sie einholte. Liefen sie dann auf gleicher Höhe, schleuderte Ayla ihren Speer.
Anfangs hatten sie nicht immer Erfolg. Manchmal war das Tier, das sie ausgespäht hatten, zu schnell, oder Baby fiel herunter und sah sich außerstande, das flüchtende Tier noch einmal anzuspringen und sich an ihm festzukrallen. Auch in gestrecktem Galopp mit dem schweren Speer umzugehen, bedurfte einiger Übung. Viele Male verfehlte sie ihr Ziel oder traf es so, daß der Speer abprallte, und gelegentlich kam Winnie auch nicht nahe genug heran. Selbst wenn sie nicht traf, war das Ganze erregend, und sie konnte es ja immer wieder versuchen.
Mit der Zeit verbesserten sie alle ihre Leistung. Sie fingen an,
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