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Zyklus der Erdenkinder 02 - Ayla und das Tal der Pferde

Zyklus der Erdenkinder 02 - Ayla und das Tal der Pferde

Titel: Zyklus der Erdenkinder 02 - Ayla und das Tal der Pferde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean M. Auel
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Hülle, die sie trug, beurteilen konnte, besaß sie den Körper einer reifen Frau. Sie schien seinen fragenden Blicken auszuweichen. Warum, fragte er sich. Irgendwie fand er sie ansprechend – und irgendwie war sie rätselhaft.
    Daß er Hunger hatte, merkte er erst, als er die kräftige Brühe roch, die sie ihm brachte. Er versuchte, sich aufzusetzen, und der tiefsitzende Schmerz in seinem rechten Bein machte ihm bewußt, daß er auch noch andere Verletzungen davongetragen hatte. Ihm tat alles weh. Dann fragte er sich zum ersten Mal, wo er war und wie er hierhergekommen war. Plötzlich erinnerte er sich, daß Thonolan in die Schlucht hinuntergestiegen war … das Brüllen … und den gewaltigsten Höhlenlöwen, den er je gesehen hatte.
    »Thonolan!« rief er und blickte sich entsetzt in der Höhle um. »Wo ist Thonolan?« Es war niemand in der Höhle außer der Frau. Sein Magen verkrampfte sich. Er wußte es und wollte es doch nicht wahrhaben. Vielleicht befand Thonolan sich in einer anderen Höhle irgendwo in der Nähe. Vielleicht kümmerte sich jemand anders um ihn. »Wo ist mein Bruder? Wo ist Thonolan?«
    Das Wort kam Ayla bekannt vor. Es war dasjenige, das er immer wieder ausgestoßen hatte, als er aus den Tiefen seines Traums aufgeschrien hatte. Sie erriet, daß er von seinem Gefährten sprach, und so senkte sie den Kopf, um Achtung vor dem jungen Mann zu bekunden, der jetzt tot war.
    »Wo ist mein Bruder, Frau?« schrie Jondalar, packte sie am Arm und schüttelte sie. »Wo ist Thonolan?«
    Ayla war betroffen über diesen Ausbruch. Die Lautstärke seiner Stimme, die Angst, die Frustration, die ungezügelten Gefühle, die sie aus seiner Stimme heraushörte und seinem ganzen Verhalten entnahm – all das verstörte sie. Die Männer im Clan hätten ihre Gefühle nie so offen gezeigt. Gewiß, sie hätten nicht minder stark empfunden, nur – Männlichkeit wurde an Selbstbeherrschung gemessen.
    Aber es stand Kummer in seinen Augen, und an der Art, wie er die Schultern verkrampfte und die Zähne zusammenbiß, entnahm sie, daß er sich gegen die Wahrheit wehrte, die er kannte, aber nicht anerkennen wollte. Die Leute, unter denen sie aufgewachsen war, verständigten sich mehr durch einfache Handzeichen und Gebärden. Positur, Haltung und Gesichtsausdruck, all das vermittelte Bedeutungsnuancen, die zum Ausdrucksschatz dazugehörten. Das Zucken eines Muskels konnte einer Bedeutung eine ganz bestimmte Wendung geben. Ayla war es gewohnt, die Körpersprache zu lesen, und der Verlust eines geliebten Menschen rief überall Schmerz hervor.
    Auch ihre Augen verrieten ihre Gefühle, sprachen von ihrer Trauer und ihrem Mitgefühl. Sie schüttelte den Kopf und senkte ihn wieder. Er konnte sich dem, was er ohnehin wußte, nicht länger verschließen. Er ließ sie los, und ergeben sackten seine Schultern herunter.
    »Thonolan … Thonolan … warum hast du immer weitergehen müssen? Ach, Doni, warum? Warum hast du meinen Bruder genommen?« rief er, und seine Stimme klang gepreßt und verkrampft. Er versuchte, sich der Verzweiflung zu widersetzen, und gab seinem Schmerz Raum, nur … eine so tiefe Verzweiflung hatte er noch nie erlebt. »Warum hast du ihn mir nehmen müssen, und warum bin ich ganz allein zurückgeblieben? Du weißt doch, er ist der einzige Mensch gewesen, den ich jemals … geliebt habe. Große Mutter … Er war mein Bruder … Thonolan! … Thonolan!«
    Kummer und Schmerz waren etwas, was Ayla verstand. Sie hatte am eigenen Leibe erfahren, wie das war; ihr Mitgefühl regte sich, und sie hatte das Bedürfnis, ihn zu trösten. Ohne zu wissen, wie es geschah, hielt sie den Mann plötzlich umfaßt, und wiegte sich mit ihm, während er verzweifelt den Namen hinausschrie. Er kannte diese Frau nicht, aber sie war ein Mensch, ein mitleidender Mensch, jemand, der erkannte, was er brauchte, und entsprechend reagierte.
    Da er sich an sie klammerte, spürte er, wie etwas Überwältigendes in ihm aufwallte; den Kräften in einem Vulkan gleich, wenn sie einmal entfesselt sind, gab es kein Halten mehr für ihn. Er schluchzte auf, und dann zuckte sein ganzer verkrampfter Körper. Schreie entrangen sich seinem tiefsten Inneren, und jeder zerrissene Atemzug kostete ihn übermenschliche Anstrengungen.
    Nie hatte er sich so vollkommen gehen lassen – jedenfalls seit seiner Kindheit nicht. Es entsprach nicht seinem Wesen, seine innersten Gefühle preiszugeben. Dazu waren diese zu übermächtig, und er hatte früh gelernt, sie zu

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