Zyklus der Erdenkinder 02 - Ayla und das Tal der Pferde
bin tot.«
Jondalar war sich nicht sicher, was sie damit meinte, doch
fröstelte ihn, und die Nackenhaare sträubten sich ihm, als sie
das sagte. Sie holte tief Atem, ehe sie fortfuhr.
»Ich habe keinerlei Erinnerung an die Frau, der ich geboren
wurde, oder an das Leben, das ich vor dem Clan führte. Ich
habe es versucht, konnte mir aber keinen Mann von den
Anderen vorstellen, einen Mann, der so war wie ich. Und wenn
ich jetzt versuche, mir die Anderen vorzustellen, kann ich nur
dich sehen. Du bist der erste meiner Art, den ich je gesehen
habe, Jondalar. Was auch immer geschieht, ich werde dich nie
vergessen.« Ayla hielt inne. Sie hatte das Gefühl, zuviel gesagt zu
haben. Sie stand auf.
»Wenn wir in der Frühe auf die Jagd gehen wollen, sollten wir
jetzt wohl etwas schlafen.«
Jondalar wußte, daß sie von Flachschädeln großgezogen war
und allein in diesem Tal lebte, nachdem sie sie verlassen hatte.
Doch bis sie es ausgesprochen hatte, war ihm nicht klar
gewesen, daß er wirklich ›der Erste‹ war. Es störte ihn, sich
vorzustellen, daß er alle seine Artgenossen darstellte, und er war
nicht gerade stolz darauf, wie er das getan hatte. Gleichwohl – er
wußte, wie alle über die Flachschädel dachten. Wenn er es ihr
nur gesagt hätte – würde das genauso gewirkt haben? Würde sie
dann wirklich gewußt haben, was ihr bevorstand?
Aufgewühlt und von widerstreitenden Gefühlen erfüllt, legte
er sich schlafen. Nachdem er sich ausgestreckt hatte, starrte er
zum Feuer hinüber und dachte nach. Plötzlich befiel ihn ein
Gefühl, das alles verzerrte, eine Art Schwindel, ohne daß sich ihm alles drehte. Er erblickte eine Frau, wie gespiegelt in einem Teich, in den ein Stein hineingefallen war; ein waberndes Bildnis, von dem Wellen ausgehen, die zu größeren und immer größeren Kreisen werden. Er wollte nicht, daß die Frau ihn
vergaß – es bedeutete ihm etwas, daß sie sich seiner erinnerte. Er verspürte eine Abweichung, eine Weggabelung, eine Wahl,
die ihm offenstand – und er war führerlos. Ein warmer
Luftstrom bewirkte, daß sich ihm die Nackenhaare sträubten. Er
wußte, Sie verließ ihn. Nie hatte er bewußt Ihre Anwesenheit
wahrgenommen, aber er wußte, daß Sie jetzt fort war, und die
Leere, die Sie hinterließ, tat weh. Es war der Beginn von etwas,
das zu Ende ging: die Eiszeit, ein Zeitalter, das Ende der Zeit, da
Sie alles nährte. Die Erdmutter verließ Ihre Kinder, auf daß sie
sich selbst ihren Weg suchten, ihr Leben selber gestalteten und
die Folgen für ihr Handeln übernahmen – erwachsen wurden.
Nicht zur Zeit seines Lebens, noch auf Generationen hinaus
nicht, und doch war der erste unerbittliche Schritt getan
worden. Sie hatte Ihr Abschiedsgeschenk gemacht, Ihr Geschenk
des Wissens.
Jondalar vernahm ein unheimlich klagendes Geschrei, und er
wußte, daß er Die Mutter weinen hörte.
Wie ein bis zum Übermaß gestreckter Riemen, der plötzlich
losgelassen wird, ging ein Ruck durch die Wirklichkeit, und alles
war wieder wie zuvor. Trotzdem war etwas überspannt worden
und wollte nicht mehr auf die zuvor gültigen
Größenverhältnisse passen. Er spürte, daß irgend etwas nicht
paßte. Er blickte über das Feuer hinweg zu Ayla und sah, daß
Tränen ihr über das Gesicht liefen.
»Was hast du denn, Ayla?«
»Ich weiß es nicht.«
»Bist du sicher, daß sie uns beide tragen kann?«
»Nein, sicher bin ich nicht«, sagte Ayla, die die mit den
Tragekörben beladenen Winnie führte. Renner trottete an
einem Strick hinter ihnen her; dieser war an einer
Kopfhalterung aus Lederriemen befestigt, der ihm die
Möglichkeit ließ, den Kopf frei zu bewegen und zu grasen und
ihm nicht den Hals abschnürte. Zuerst hatte die Halterung dem
Füllen zu schaffen gemacht, doch jetzt gewöhnte es sich daran. »Wenn wir beide aufsitzen, kommen wir schneller voran.
Wenn sie es nicht mag, wird sie es mich wissen lassen. Dann
reiten wir eben abwechselnd, oder wir gehen beide zu Fuß.« Als sie den großen Felsen unten in den Wiesen erreichten,
kletterte Ayla auf das Pferd, rückte ein Stück vor und hielt die
Stute ruhig, während auch Jondalar aufstieg. Winnie legte die
Ohren an. Sie spürte die ungewohnte zusätzliche Last, aber sie
war ein robustes zottiges Pferd, und als Ayla sie antrieb, setzte
sie sich in Bewegung. Die Frau hielt sie zu einer gleichmäßigen
Gangart an und spürte durchaus die Veränderung darin, die ihr
anzeigte, daß es an der Zeit sei anzuhalten und zu rasten. Als sie das zweitemal
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