Zyklus der Erdenkinder 02 - Ayla und das Tal der Pferde
hochheben und auf den Arm nehmen; auch ist Creb
nicht da, das Zeichen über dir zu machen, deshalb muß ich
wohl der Mog-ur sein und es tun.« Sie lächelte.
»Stell dir vor, eine Frau als Mog-ur!«
Ayla wollte zum Fluß zurück, schlug dann jedoch einen Bogen
stromaufwärts, als ihr klar wurde, daß sie in der Nähe jener
Stelle war, wo sie die Fallgrube gegraben hatte. Zwar hatte sie das Loch wieder zugeschaufelt, doch das Füllen trieb sich immer wieder dort herum, schnüffelte und schnaubte und kratzte den Boden mit den Hufen auf; irgendein Geruch oder eine Erinnerung mußte ihm zusetzen. Die Herde war seit dem Tag, da sie das ganze Tal hinunter vor dem Feuer und Lärm geflohen
war, den sie gemacht hatte, nicht wieder zurückgekehrt. Sie führte das Füllen in der Nähe der Höhle zur Tränke. Der
schlammige Fluß, durch herbstliches Oberflächenwasser
angeschwollen, war von seinem Höchststand bereits wieder
gesunken und hatte am Ufer einen rotbraunen dünnflüssigen
Schlammbrei zurückgelassen. Es gluckste unter Aylas Füßen
und hinterließ eine bräunlich-rote Schmiere. Das erinnerte sie
an den roten Ockerbrei, den der Mog-ur zu Zeremonialzwecken
wie der Namensgebung benutzte. Sie fuhr mit einem Finger im
Schlamm herum und machte dann ein Zeichen auf ihrem Bein,
lächelte und nahm eine Handvoll Schlamm hoch.
Eigentlich habe ich nach rotem Ocker Ausschau halten
wollen, aber vielleicht geht dies genauso gut. Die Augen
schließend, versuchte Ayla sich daran zu erinnern, was Creb
gemacht hatte, als er ihrem Sohn seinen Namen gegeben hatte.
Sie sah sein verrunzeltes altes Gesicht vor sich, die Hautfalte, die
die Stelle bedeckte, wo eigentlich ein Auge hätte sein müssen,
seine große Nase, die stark vorgewölbten Brauen und die
niedrige fliehende Stirn. Sein Bart war zottig und schütter
geworden, und der Haaransatz hatte sich nach hinten
verschoben, aber sie erinnerte sich an ihn, wie er an diesem
Tagausgesehen hatte. Nicht jung, sondern auf dem Höhepunkt
seiner Macht. Sie hatte das schöne, verrunte alte Gesicht geliebt. Plötzlich brachen alle alten Gefühle wieder in ihr auf. Ihre
Befürchtung, ihren Sohn zu verlieren, und dann die
unbeschreibliche Freude beim Anblick der Schale mit rotem Ocker darin. Sie schluckte ein paarmal, doch der Kloß, den sie im Hals hatte, wollte nicht hinuntergehen; sie wischte eine Träne fort und ahnte nicht, daß sie statt dessen einen braunen Fleck hinterließ. Das kleine Pferd lehnte sich an sie und suchte mit der weichen Schnauze nach Liebe, gleichsam als hätte es gespürt, wonach Ayla sich sehnte. Die Menschenfrau kniete nieder, schlang die Arme um das Tier und lehnte die Stirn an
den kräftigen Hals des kleinen Fohlens.
Dies soll doch eine Namensgebungs-Zeremonie sein, dachte
sie und faßte sich wieder. Der Schlamm war ihr zwischen den
Fingern zerronnen. Sie schöpfte noch eine Handvoll und reckte
dann die andere Hand himmelwärts, so wie Creb es mit seinen
verkürzten einhändigen Gebärden getan hatte, um die Geister
herbeizurufen. Dann zögerte sie; sie war sich nicht sicher, ob sie
bei der Namensgebung eines Pferdes die Geister der
Clansangehörigen anrufen sollte oder nicht – vielleicht waren
sie alles andere als damit einverstanden. Sie tauchte die Finger in
den Schlamm und zog von der Stirn bis zur Nasenspitze einen
Strich über das Gesicht des Fohlens, genauso, wie Creb es mit
dem roten Ockerbrei bei Durc gemacht hatte.
»Winnie«, sagte sie laut und nahm damit Abschied von der
förmlichen Gebärdensprache. »Der Name dieses Mädchens …
dieses weiblichen Pferdes lautet Winnie.«
Das kleine Pferd schüttelte den Kopf und versuchte, den
nassen Schlamm auf seinem Gesicht abzuschütteln, worüber
Ayla lachen mußte.
»Das trocknet bald und fällt dann von selbst ab, Winnie.« Sie wusch sich die Hände, rückte den Korb mit dem Korn auf
dem Rücken zurecht und marschierte langsam auf die Höhle zu.
Die Namensgebungs-Zeremonie hatte sie zu sehr an ihr
Alleinsein erinnert. Winnie war ein warmes, lebendiges Wesen und ließ sie die Einsamkeit leichter ertragen, doch als Ayla das steinübersäte Ufer erreichte, liefen ihr ungewollt und
unbemerkt die Tränen über die Wangen.
Sie redete dem jungen Pferd gut zu, den steilen Pfad zur
Höhle hinaufzugehen, und das riß sie ein wenig aus ihrem
Kummer heraus. »Komm, Winnie, das schaffst du schon. Ich
weiß, daß du kein Steinbock und auch keine Steppenantilope
bist, aber du brauchst dich nur dran zu gewöhnen.«
Sie
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