Zyklus der Erdenkinder 02 - Ayla und das Tal der Pferde
Anstrengung hatte bewirkt, daß das Blut jetzt wieder reichlicher floß. Jondalar faltete das Sommergewand seines Bruders zusammen, legte es über die Wunde und verließ dann das Zelt. Das Feuer war fast ausgegangen. Sorgsam legte Jondalar Holz nach und baute es wieder auf, setzte Wasser auf und schnitt mehr Holz.
Dann kehrte er ins Zelt zurück, um nach seinem Bruder zu sehen. Thonolans Gewand hatte sich abermals mit Blut vollgesogen. Er nahm es fort, um sich die Wunde anzusehen, und verzog das Gesicht zu einer Grimasse, als er daran dachte, wie er den Hügel hinaufgelaufen war, um das andere Gewand loszuwerden. Die Panik, die ihn anfangs befallen hatte, war verflogen, und so kam ihm das jetzt töricht vor. Die Blutung hatte aufgehört. Er fand noch etwas zum Anziehen – ein Untergewand für den Winter –, legte es über die Wunde und deckte Thonolan zu. Dann nahm er das zweite mit Blut vollgesogene Gewand und ging hinunter an den Fluß, warf es ins Wasser, beugte sich dann hinunter, um das Blut von den Händen zu waschen und empfand seine Panik neuerlich als peinlich.
Er wußte nicht, daß Panik in extremen Situationen eine Überlebensreaktion ist. Wenn alles andere nicht mehr hilft und alle rationalen Versuche, eine Lösung zu finden, erschöpft sind, setzt Panik ein, und so führt eine irrationale Handlung manchmal zu einer Lösung, auf die rationale Überlegung nie gekommen wäre.
Er kehrte zurück zum Lagerplatz, legte noch etwas Holz nach und suchte dann den Erlenschaft, obwohl es im Augenblick sinnlos schien, sich eine Lanze zu machen. Er kam sich nur so nutzlos vor und hatte das Bedürfnis, etwas zu tun. Nachdem er den Schaft gefunden hatte, setzte er sich vors Zelt und machte sich mit bösartig geführten Schlägen daran, das eine Ende zuzuspitzen.
Der folgende Tag war für Jondalar ein Alptraum. Thonolans linke Körperhälfte reagierte noch auf die leiseste Berührung empfindlich und schien ein einziger großer Bluterguß. Jondalar hatte nur wenig geschlafen. Es war eine schwierige Nacht für Thonolan gewesen, und jedesmal, wenn er stöhnte, war Jondalar aufgestanden. Dabei war das einzige, was er ihm bieten konnte, Weidenrindentee gewesen, und der half nicht sonderlich. Am Morgen bereitete er ein wenig Essen und kochte eine Brühe, doch keiner von ihnen brachte viel hinunter. Gegen Abend hatte sich die Wunde entzündet, und Thonolan fieberte.
Als Thonolan nach unruhigem Schlaf erwachte, blickte er in die besorgten blauen Augen seines Bruders. Die Sonne war gerade hinter dem Rand der Erde verschwunden; obwohl es draußen noch einigermaßen hell war, konnte man im Zelt kaum mehr etwas erkennen. Doch hielt das Dämmern Jondalar nicht davon ab zu bemerken, wie fiebrig Thonolans Augen glänzten; außerdem hatte er im Schlaf gestöhnt und Unverständliches gemurmelt.
Jondalar gab sich Mühe, seinen Bruder aufmunternd anzulächeln. »Wie fühlst du dich?«
Thonolan hatte zu große Schmerzen, als daß ihm ein Lächeln gelungen wäre, und wie Jondalar aussah, war auch nicht ermunternd. »Mir ist nicht gerade danach, auf Nashornjagd zu gehen«, sagte er.
Sie schwiegen eine Weile; keiner wußte, was er sagen sollte. Thonolan schloß die Augen und stieß einen tiefen Seufzer aus. Er war es leid, gegen den Schmerz anzukämpfen. Die Brust tat ihm bei jedem Atemzug weh, und der tiefsitzende Schmerz in der Leistengegend schien sich über den ganzen Körper ausgebreitet zu haben. Hätte er irgendwelche Hoffnung gesehen, er würde es ertragen haben, doch je länger sie hierblieben, desto geringer wurde die Chance, daß Jondalar den Fluß noch vor Einsetzen eines Sturms überquerte. Daß er sterben mußte, war noch lange kein Grund, daß auch sein Bruder sterben sollte. Er schlug die Augen wieder auf.
»Jondalar, wir wissen beide, daß es ohne Hilfe keine Hoffnung für mich gibt. Das ist aber noch lange kein Grund, daß du …«
»Was soll das heißen: keine Hoffnung? Du bist jung, du bist kräftig. Du kommst schon wieder auf die Beine.«
»Es bleibt nicht mehr viel Zeit. Hier draußen haben wir keine Chance. Jondalar, mach dich auf, finde einen Ort, wo du bleiben kannst, du …«
»Du redest irre!«
»Nein, ich …«
»Du würdest nicht so reden, wenn dein Geist nicht verwirrt wäre. Sieh du zu, daß du wieder zu Kräften kommst – laß mich nur für uns beide sorgen. Wir schaffen es beide. Ich habe einen Plan.«
»Was für einen Plan?«
»Den werde ich dir erklären, wenn ich mir über die Einzelheiten klargeworden
Weitere Kostenlose Bücher